Schweizer Revue 2/2021

Schweizer Revue / April 2021 / Nr.2 14 STÉPHANE HERZOG An diesem Wintermorgen liegt der Hof der Familie Heinrich im Schatten. Marcel und seine Frau Sabina zählen die Tage bis zur Rückkehr der Sonne. Mehr als eineWochemüssen sie noch aushalten. Willkommen in Las Sorts, einem Weiler im Albulatal, knapp 1000 Meter überMeer und unweit des berühmten Landwasserviadukts ge­ legen. Der Hof Las Sorts – wörtlich über­ setzt: das Schicksal – steht sinnbild­ lich für viele Bündner Bauernbetriebe: Der Wandel hin zu Bio begann mit dem Milchverkauf dank Weiden, die frei von synthetischem Dünger sind. «Mein Vater war einer der ersten Bau­ ern imTal, die den Schrittwagten», er­ zählt Marcel Heinrich, ursprünglich gelernter Holzarbeiter. Das Vorhaben war damals nicht selbstverständlich. Anfangs wurde die Milch der Bio­ pioniere nicht von der restlichen ge­ trennt. Ab den 1990er-Jahren jedoch fragte der Grossverteiler Coop bei den Käsereien vermehrt nach Biopro­ dukten nach. «Da sich diese Milch zu einem besseren Preis verkaufen liess und die Höfe sowieso schon nahe am Biostandard produzierten, folgten zahlreiche Bäuerinnen und Bauern», sagt Claudio Gregori, Präsident von Bio Grischun. «Der offene Geist der Bündner Bäuerinnen und Bauern tat das Seine zu diesem Aufschwung», fügt Martin Roth, Berater für Bioland­ bau im Plantahof, dem Ausbildungs­ zentrum des Kantons für Landwirt­ schaft, hinzu. In Las Sorts ist das Haupterzeug­ nis die Bergkartoffel. Jedes Jahr produ­ ziert die Familie Heinrich fast 70 Ton­ nen und mehr als 40 Sorten: von der violettschwarzen Vitelotte mit ihrem Edelkastanienaroma bis zur delika­ ten belgischenCorne de Gatte. Der An­ bau verlangt viel manuelle Arbeit auf kleinen Parzellen. «Es ist eine heraus­ fordernde Entscheidung, die einen dazu bewegt, sichmit denKreisläufen der Natur auseinanderzusetzen. Inder Biolandwirtschaft beobachtet man Dinge, die man vom hohen Sitz des Traktors aus unmöglich sehen kann», sagt Marcel Heinrich. In diesem Mo­ ment taucht vor dem Haus ein Fuchs auf, was kurz zu Aufregung aus Sorge um die Hühner im Stall führt. Im Tal gibt es sogar Wölfe: «Wir hören sie manchmal unweit des Hofes heulen und finden Hirschkadaver, bisher stellen sie für uns jedoch kein Prob­ lem dar.» Die Bergkartoffel als Nischengeschäft In den hoch gelegenen Regionen müs­ sen die Biobäuerinnen und -bauern Nischenprodukte entwickeln. Die Familie Heinrich etwa hat sich am Aufbau einer Kartoffel-Akademie be­ teiligt, die Liebhaberinnen und Lieb­ haber seltener Sorten zusammen­ führt. «Biokartoffelnhaben einen sehr starkenGeschmack. Köche sagtenmir, sie seien viermal nahrhafter als die Erzeugnisse aus konventioneller Landwirtschaft», sagtMarcel Heinrich, der Sterneköchewie SvenWassmer in BadRagaz oder HeikoNieder in Zürich zu seinen Kunden zählt. Der Bauer liebt es, sein Wissen zu teilen, ist jedoch kein «Bioprediger». Sein jüngs­ tes Projekt ist die Kultivierung einer alten Bohnensorte. Nach fünf Jahren der Versuche konnte er 2020 schliess­ lich 1500 Kilogramm einer kälteresis­ tenten Bohne ernten. In Las Sorts stammen ungefähr 65 Prozent der Einkünfte aus dem Direktverkauf, rund 35 Prozent aus flächenabhängigen Subventionen des Bundes. «Der Anteil unserer Ein­ künfte aus dem Direktverkauf ist für einen Bergbetrieb hoch», sagt Marcel Heinrich. Er hat dem Verkauf an Grossverteiler abgeschworen. Denn er hält diese für «ein instabiles System, das denBauerndieHände bindet».Wir verlassen die freundliche Wärme des Heinrich’schen Haushalts, den Ofen und die im Badezimmer gestapelten Reisigbündel in Richtung Filisur. Die Entscheidung, auf dem Hof zu schlachten Weiter nördlich leben Georg Blunier und seine FrauClaudia. Der von ihnen gepachtete Hof thront majestätisch über dem Rhein. Die Kälte beisst, die Sonne brennt in den Augen. Willkom­ men in Dusch auf 850 Metern über Meer. Das gemeinsame Leben des Paars begann in der Stadt. Nach zwei Alpsommern imWallis und Graubün­ den entschied es sich jedoch, sein Glück in der Landwirtschaft zu su­ chen. Georg Blunier hatte als Grafiker und Künstler in Biel gearbeitet. 70-Stunden-Wochen gehören zum Alltag des bodenständigen Mannes. «In der Kunst erschaffst du Probleme, um dann Lösungen für sie zu finden. In der Landwirtschaft folgst du dem Rhythmus, der dir die Natur auferlegt, und siehst die konkreten Resultate deiner Arbeit.» Auf dem Hof Dusch, seit 1989 ein Biobetrieb, werden Ge­ treide und Früchte angebaut. Das Ni­ Wie die Bündner die Bio-Schweizer-Meister wurden Mehr als 65 Prozent der Bündner Bauern setzen auf Bio. Das ist Schweizer Rekord. Bergbauern und Touristiker haben die Entwicklung beschleunigt. Wer biologisch bauert, tut dies meist aus wirtschaftlichen und ideologischen Gründen. Höher, weiter, schnel- ler, schöner? Auf der Suche nach den etwas anderen Schweizer Rekorden. Heute: Der Kanton mit dem höchsten Anteil an Biobauern. e trem Schweiz Reportage

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