Schweizer Revue 2/2021

Schweizer Revue / April 2021 / Nr.2 23 Politik EVEL INE RUTZ Per Mausklick abzustimmen und zu wählen, soll für Schweizer Stimmbe- rechtigte wieder möglich werden. Nach eineinhalb Jahren Stillstand ge- währt die Bundesbehörde dem E-Vo- ting eine weitere Chance: Sie erlaubt den Kantonen, es versuchsweise und für eine begrenzte Personenzahl an- zubieten. Thurgau, St. Gallen und Frei- burg haben bereits Interesse signali- siert. Sie können loslegen, sobald die rechtlichen Grundlagen angepasst sind. 2022 dürfte es soweit sein. Die elektronische Stimmabgabe sorgt in der Schweiz seit Jahren für Diskussionsstoff. Seit 2004 bemüht sich der Bund, ein sicheres Systemauf- zubauen und zu etablieren. In 15 Kan- tonen liess er über 300 Testläufe zu, bis er Mitte 2019 einen Marschhalt verordnete. Die zwei wichtigsten An- bieter hatten damals ihre Software zu- rückzogen. Der Pionierkanton Genf verzichtete aus finanziellen Gründen darauf, sichweiter zu engagieren. Und die Schweizerische Post nahm ihre Lösung aus dem Betrieb, nachdem ex- terne Spezialisten Sicherheitsmängel aufgedeckt hatten. Dass der digitale Kanal wegfiel, liess die Stimmbeteili- gung der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer einbrechen. Deut- lich zeigte sich dies bei den nationalen Wahlen 2019. In Kantonen, die 2015 noch E-Voting eingesetzt hatten, gin- gen die Stimmen aus der Fünften Schweiz um bis zu einem Drittel zu- rück. Der Unmut in der Diaspora ist bis heute gross. Pandemie verzögert den Briefversand Nicht wenige klagen, sie würden da- ran gehindert, ihre politischenRechte wahrzunehmen. Zudem fehle es am politischenWillen, daran etwas zu än- dern. Die Corona-Pandemie hat das briefliche Verfahren zusätzlich er- schwert. Die Post arbeitet zeitweise an ihrer Kapazitätsgrenze: Vielerorts treffen die Unterlagen noch später ein als früher. Ausgewanderten in Über- see ist es faktisch nicht mehr möglich, in ihrer alten Heimat mitzubestim- men. Sie setzen grosse Hoffnungen ins E-Voting. «Sie müssen nicht mehr da- mit rechnen, dass ihre Stimme verlo- rengeht, weil der Postversand der aus- gefülltenStimmzettel zu lange dauert», sagte Bundeskanzler Walter Thurn- herr, als er imDezember die Neuerun- gen vorstellte. Auch Sehbehinderte würden vom digitalen Service beson- ders profitieren. Sie könnten die Un- terlagen ohne dieHilfe einer sehenden Person ausfüllen. Immer mehr Men- E-Voting erhält eine weitere Chance Neustart beim E-Voting: Die Kantone dürfen wieder einen elektronischen Stimmkanal anbieten. Bis die Stimmberechtigten davon profitieren können, wird es allerdings dauern. schen wickelten ihre Erledigungen online ab, hielt Thurnherr fest: E-Vo- ting entspreche einem Bedürfnis. Doch der Bund folge seit jeher der Maxime «Sicherheit vor Tempo». Ziel sei ein vertrauenswürdiges Verfahren. «Abstimmungen und Wahlen funkti- onieren nur, wenn die Bürgerinnen und Bürger dem Prozess vertrauen», so Thurnherr. Laufend kontrolliert und verbessert Der Bundesrat stellt nun strengere Anforderungen an die Sicherheit. Er will künftig ausschliesslich vollstän- dig verifizierbare Systeme zulassen. Sie ermöglichen es den Nutzerinnen und Nutzern zu überprüfen, ob ihre Stimme korrekt registriert wurde. Sie gewährleisten zudem, dass systemi- sche Fehlfunktionen oder Manipu­ lationen erkannt werden. E-Voting­ Lösungen sollen künftig stärker kontrolliert und laufend verbessert werden. Die Regierung zieht dafür un- abhängige Spezialisten bei, setzt aber auch auf Interessierte aus der Bevöl- kerung, indem sie diese für relevante Hinweise finanziell entschädigt. Schon nach geltendem Recht müssen der Quellcode und die Dokumenta- tion einer E-Voting-Plattformoffenge- legt werden. Neu sollen grundsätzlich Open-Source-Kriterien gelten. Bevor der Testbetrieb wieder star- ten kann, müssen noch die rechtli- chen Grundlagen angepasst werden. Dazu ist in diesem Jahr eine Vernehm- lassung geplant. 2022 könnte die elek- tronische Stimmabgabe dann wieder genutzt werden. Die Post hat ihr Sys- tem inzwischenweiterentwickelt und im Januar offengelegt. Bundeskanzler Walter Thurnherr: «Abstimmungen und Wahlen funktionieren nur, wenn die Bürgerinnen und Bürger dem Prozess vertrauen.» Foto Danielle Liniger

RkJQdWJsaXNoZXIy MjYwNzMx