Schweizer Revue 2/2021

Schweizer Revue / April 2021 / Nr.2 3 Einige sind mächtig wie der Genfersee. Andere sind winzige, namenlose Gewässerperlen imHochgebirge. Wer nebst den grossen auch all die winzigen zählt, kommt in der Schweiz auf über 6000 Seen. Die Land- schaft dazwischen wird von 65000 Kilometer Fluss- und Bachläufen durchzogen. Und die Flüsse verbin- den das bergige Land mit dem Meer: Was an den Alpenflanken abperlt, fliesst zu einem grossen Teil in die Nordsee, ins Mittelmeer, die Adria und selbst ins Schwarze Meer. Es ist schweizerischer «Überfluss» imwörtlichen Sinn. Dieser Wasserreichtum prägt das Selbstbild der Schweiz. Sie sieht sich gerne als «Wasserschloss Europas». Dazu passt die Alltagserfahrung, wie sorg- los überall Wasser vomHahn getrunkenwerden kann. Doch diese Sorglosig- keit wird zunehmend eingetrübt. ImWasserschloss herrscht Unruhe. Sowird imSchweizer Trinkwasser vielerorts der Höchstwert für Chloro­ thalonil überschritten, was den Glauben ans reine Lebensmittel Wasser er- schüttert. Dieses bis Ende 2019 zugelassene Fungizid steht im Verdacht, krebserregend und genverändernd zu sein. Jetzt verdünnen vieleWasserver- sorger das kontaminierte mit sauberemWasser. Wasser verdünnen, damit es trinkbar wird: gar kein schönes Bild. Die Schweizer Bauern, die das – erlaubte – Pestizid zumSchutz ihrer Kul- turen eingesetzt hatten, fühlen sich zu Unrecht kritisiert. In der Tat greift es zu kurz, sie allein zu tadeln. Es ist letztlich der mit der Zersiedelung einher- gehende Verlust an Kulturland und der Run der Konsumentinnen und Kon- sumenten auf billige Lebensmittel, die zu immer «effizienterer» Landwirt- schaft samt ihren Nebenwirkungen führen. Welche Landwirtschaft wollen wir? Diese Frage prägt auch die kontroverse Debatte über gleich zwei Initia- tiven, über die die Schweiz am 13. Juni abstimmt (siehe Seite 6). Übrigens liefern dieHydrologen einenweiterenGrund zur Sorge über die Zukunft des Wasserschlosses. Ihre Prognose in Sachen Klimawandel: Die Schweiz wird nässer und trockener zugleich. Die Winter werden nieder- schlagsreicher, der Schnee wird früher und die Gletscher stärker abschmel- zen. MehrWasser wird in kürzerer Zeit talwärts fliessen, statt imGebirge ge- speichert zu werden. Die Sommer hingegen werden regenärmer. Regionale Wasserknappheit – besonders dort, wo Intensivlandwirtschaft betrieben wird – und Trockenheit werden häufiger auftreten. Zugleich werden die Ge- wässertemperaturen weiter steigen und die Fischbestände gefährden. Der imSpätsommer 2018 komplett ausgetrocknete Lac des Brenets imNeuenbur- ger Jura war womöglich ein Vorbote des neuen Schweizer Sommerklimas. MARC LETTAU, CHEFREDAKTOR Editorial 5 Briefkasten 6 Schwerpunkt Auf dem «blauen Gold» der Schweiz, demWasser, liegt ein Schatten 11 Schweizer Zahlen Das Matterhorn wächst und schrumpft zugleich 12 Gesehen Annemarie Schwarzenbach und ihr fotografisches Werk 14 Reportage Gehts um Bio, haben die Bündner Bauern die Nase vorn Nachrichten aus Ihrer Region 17 Literatur Luisa Famos schrieb berührend über Indios – auf Rätoromanisch 18 Interview Mit dem Thema Corona auf der Couch des Psychoanalytikers 21 Gesellschaft Basel diskutiert über Grundrecht für Affen 23 Politik Ein neuer Anlauf fürs E-Voting 25 SwissCommunity-News 27 Aus dem Bundeshaus Bundesrat Ignazio Cassis im Interview 31 Nachrichten Inhalt Unruhe imWasserschloss Titelbild: iStock Herausgeberin der «Schweizer Revue», dem Informationsmagazin für die Fünfte Schweiz, ist die Auslandschweizer-Organisation.

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