Schweizer Revue 3/2021

Schweizer Revue / Juni 2021 / Nr.3 10 Politik EVELINE RUTZ Man sieht sie auf dem Jungfraujoch, in der Altstadt von Luzern oder an der Zürcher Bahnhofstrasse: einzelne voll- verschleierte Touristinnen. Sonst begegnet man in der Schweiz kaum Frauen, die eine Burka oder einen Nikab tragen. Dennoch wird die Vollverschleierung jetzt in der Bundesverfassung geregelt: Sie ist landesweit verboten. Denn: 51,2 Prozent der Stimmberechtigten haben am 7. März 2021 die Volksinitiative «Ja zumVerhüllungsverbot» gutgeheissen. 20 Kantone haben ihr zugestimmt; nur sechs lehnten sie ab. Die Schweiz schliesst sich damit sechs anderen europäischen Staaten an, die bereits ein solches Verbot kennen. Darunter ihrem Nachbarn Frankreich, der 2011 voranging. Vorschrift für eine kleine Minderheit Nicht nurMusliminnen riskieren künftig eine Busse, wenn sie sich in der Öffentlichkeit verschleiern. Auch Fussball- fans, Demonstranten undWerbe-Maskottchen sind von der Regelung betroffen. Ausgenommen sind dagegen Fasnächt- ler und Personen, die eine Hygienemaske, einen Schutz- helmoder eine Sturmhaube tragen. Der Entscheid sei kein Votumgegen diemuslimische Bevölkerung in der Schweiz, betonte Justizministerin Karin Keller-Sutter am Abstim- mungssonntag. Er betreffe nur einen Bruchteil der 400000 Musliminnen und Muslime, die hier lebten. Schätzungen gehen von 20 bis 30Nikab-Trägerinnen aus. Davon sind die meisten imWesten sozialisiert, gut gebildet und freiwillig verhüllt. Ihre Zahl hat in den letzten Jahren nicht zugenom- men. Sie stellen gemäss der Bundesbehörde kein Problem dar. Die Initianten problematisierten ein Randphänomen, kritisierten Gegnerinnen und Gegner denn auch im Ab- stimmungskampf. Sie sprachen von einer «Scheindebatte». Auch linke Wählerschaft lieferte Ja-Stimmen Dass das Anliegen eine Mehrheit fand, hat mit einer unge- wöhnlichen politischen Konstellation zu tun. Es wurde nicht nur von rechtskonservativen Kreisen, sondern auch von Frauenrechtlerinnen und damit einer linken Wähler- schaft unterstützt. Der Gesichtsschleier stehe für eine fundamentalistische Ideologie, welche die Würde von Frauen ungestraft verletze, argumentierten sie. Er passe nicht in eine freie Gesellschaft. Feministische Überlegun- gen wurden aber auch gegen die Vorlage ins Feld geführt. Frauen hätten das Recht anzuziehen, was sie wollten, so die Argumentation. Sich für einen Nikab zu entscheiden, gehöre zur Religionsfreiheit. Das Schweizer Burka-Verbot hat vor allem Symbolcharakter Sein Gesicht in der Öffentlichkeit zu verhüllen, ist künftig landesweit untersagt. Ängste vor einem radikalen Islam und feministische Argumente gegen die Vollverschleierung haben an der Urne den Ausschlag gegeben. Es ist ein primär symbolischer Entscheid. Denn: Nur extrem wenige der in der Schweiz lebenden Musliminnen tragen eine Burka oder einen Nikab. Das letztlich klare Ja interpretieren Parteienvertreter als Zeichen gegen den radikalen Islamund die Unterdrückung von Frauen. Es gehe darum, «gewisse Werte und Voraus­ setzungen für unser Zusammenleben zu verteidigen», betont Marco Chiesa, Präsident der SVP Schweiz. «In unse- rem Kulturkreis zeigt man sein Gesicht», sagt SVP­ Nationalrat Walter Wobmann vom Egerkinger Komitee, welches die Initiative lanciert hatte: «Die Verhüllung ver- körpert den extremen, politischen Islam, den man hier nicht will.»Mit demVerbot löseman allerdings kein reales Problem, bemängelt FDP-Chefin Petra Gössi. Die Kleider- vorschrift trage nichts zur Terrorbekämpfung bei. Cédric Wermuth, Co-Präsident der SP, pflichtet ihr bei. Die Lebens- umstände der betroffenenMusliminnen verbesserten sich nicht. «Jetzt müssen wir etwas tun, damit diese Frauen wirklich in Freiheit leben können.» Zweiter Erfolg nach Minarett-Initiative Mit der Burka-Vorlage ist erstmals seit 2014 wieder eine Volksinitiative an der Urne angenommen worden. Für das islamkritische Egerkinger Komitee ist es bereits der zweite 51,2 % Ja 48,8 % Nein

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