Schweizer Revue 3/2021

Schweizer Revue / Juni 2021 / Nr.3 20 ist ein Boot, «auf dem ich keine zwei Tage verbringenwürde», sagt Experte Schopfer. Alans Entgegnung: «Solange alles gut geht, ist es ein Segelboot wie jedes andere. Sobald jedoch ein Prob- lem auftritt, wird man sich seiner enormen Kraft bewusst.» Ein 400 Quadratmeter grosser Spinnaker liegt imWasser? Da sind schon mal bis zu sechs Stunden harte Arbeit erforder- lich, bis das Segel wieder an Bord ist. Eine Halse mit diesem Boot? Die Pro- zedur dauert ungefähr eine Stunde. Das Boot verhält sich wie ein Reso- nanzkörper. «Die konstante Bewe- gungmacht es unmöglich, denKörper zu entspannen.» Komfort? «Ein Eimer als Toilette und eine Flasche zum Du- schen.» Für eine Landratte oder einen Freizeitsegler wäre die Geschwindig- keit von 30 Knoten – rund 60 km/h – furchteinflössend: «Hat man sich erst daran gewöhnt, erscheinen einem 20 Knoten zäh und langsam.» Kaum im Ziel, haben Roura und sein Team die Arbeit sofort wieder aufgenommen. Die «Fabrique» war von der gleichnamigen Waadtländer Backwarenfirma gesponsert worden. «Jetzt suchen wir nach einem neuen Sponsor, wenn möglich aus der Schweiz», sagt Alans FrauAurélia. Die Vendée ist ein Vollzeitprojekt. mit einemMisserfolg: Die Löhne wer- dennicht ausgezahlt. Sie ziehenweiter nachMartinique, dann nach Grenada, wo der Milliardär Georges Cohen auf einer Privatinsel einen Palast bauen lässt. Georges Roura leitet ein Team aus acht Einheimischen, die er in Galvanik und Spenglerei ausbildet – Handwerkskünsten, die vor Ort Erfolg bringen. Der Familie steht eine Pfahl- bauhütte zur Verfügung – und Alan leitet den kleinen Hafen. Er urteilt lachend: «Das war ein Drecksjob.» Aber der 15-jährige Alan findet dabei Zeit, Gutbetuchte zum Hochsee­ fischen mit aufs Meer zu führen, dar- unter den französischen Unterneh- mer Serge Dassault. Etwas später besteht die Crewder Rouras nur noch aus Georges und Alan. Sie steuern die nun 40 Jahre alte Ludmila in den Pazifik. Nach 22 Tagen auf See und nach Nächten am Steuerruder errei- chen die beiden Tahiti. Alan ist inzwi- schen 17 Jahre alt. In die Küche, in der wir uns unter- halten, tritt – von einemWindstoss be- gleitet – Alans Vater Georges: schlank, weisshaarig, lächelnd, direkt, mit in- tensivem Blick und von der Arbeit ge- zeichnetenHänden. Von ihmsagt Alan, er sei ein hervorragender Segler. Was ist denn die Definition eines guten Seglers? Alan: «Jemand, der es bei je- demWetter von Punkt A nach Punkt B schafft und sein Boot in gutem Zu- stand zurückbringt, ohne unnötige Risiken eingegangen zu sein.» Erweiss, dass es auch mal schiefgehen kann: Vor Neukaledonien entgehen Vater und Sohn nach einer Havarie nur knapp der Katastrophe. Eine Notrepa- ratur inmitten zehnMeter hoher Wel- len rettet sie. In Neukaledonien endet schliess- lich die gemeinsame Reise auf der Ludmila – und Alan tritt in die Welt der Hochseeregatten ein. «Im Gegen- satz zu Schweizer Seglern wie Domi- niqueWavre ist AlanRouras Ursprung nicht die Regatta, sondern das Meer», sagt der Genfer Bernard Schopfer, ein Kenner der Geschichte des Segelns. Ausgerüstet mit immenser Hoch- seeerfahrung und bester Technik reiht Roura einenKlassiker an den an- deren: MiniFastnet, Mini-Transat, Transat Jacques Vabre. AmEnde findet er zur «Vendée Globe», die alsweltweit härteste Regatta für Einhandsegler gilt. Diesen «Everest der Meere» hat Alan Roura inzwischen zweimal als Jüngster bezwungen. Die «Vendée» 2016/2017, die er auf dem 12. Platz be- endete, war für ihn ein entdeckungs- reiches und vergnügliches Abenteuer. Dieses Jahr kam Alan Roura auf dem Boot «Fabrique» nach zwei Havarien als 17. ins Ziel. Er hatte die halbe Stre- cke mit einem in der Achse blockier- ten Kiel bewältigt. Ein Boot ohne jeglichen Komfort Die «Fabrique» ist eine 2007 konstru- ierte Segeljacht des Typs IMOCA. Sie Alleinsegler Alan Roura auf seiner «Fabrique», einem Boot, das sich verhält wie ein sensibler Resonanzkörper: Konstant in Bewegung, was es unmöglich macht, den eigenen Körper zu entspannen. Foto Keystone

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