Schweizer Revue 3/2021

Schweizer Revue / Juni 2021 / Nr.3 22 Reportage Es soll nämlich klingen, wie es die ganze Schweizer Musikwelt derzeit tut. Also gar nicht. Es sind schliesslich 35000 Fans, die trotz des geisterhaftenWesens des Festivals bis zu 100 Franken für ein Ticket hinblättern. Sie vertrauen dem simplen Businessplan: Am Schluss wird nichts in der Kasse bleiben, was reinkommt, geht wieder raus – verteilt an die Musikerinnen, Musiker und den technischen Staff, den jedes Festi­ val braucht. Den Fans erlaubt das Ticket nirgends einen Eintritt. Es ga­ rantiert ihnen nur reine Imagination und gesteigerte Sehnsucht nach real erlebbarer Kultur. Büro statt Bühne Wie aber gehen Musikerinnen und Musiker mit dem Festival um? Mit da­ bei und doch nicht auf der Bühne ist etwa die Mezzosopranistin, Song­ writerin und Komponistin Stephanie Szanto. Für sie ist freilich nicht nur das besagte Festival irreal, sondern schlicht jedes Engagement der letzten zwölf Monate: Die «voll ausgebuchte Agenda» wurde zur komplett leeren. Für die freischaffende Musikerin, die jeweils auf verschiedenste Bühnen- und Konzertauftritte hinarbeitet, ist die Pandemie «der Supergau»: «Ich fiel komplett aus dem Rahmen», sagt Szanto. Mit einem Schlag kippten in menschlicher, künstlerischer und materieller Hinsicht wichtige Pfeiler ihrer Lebensgrundlage weg. Dabei verschwinde jegliche Perspektive, sagt Szanto, zumal der völlige Stillstand des Kulturlebens «überhaupt nichts Inspirierendes an sich hat, denn es entsteht ein lähmendes Vakuum». Die plötzlichen existenziellenNöte füllten denAlltagmit reinmateriellenFragen: «Wie bezahle ichdieMiete?» Alleindie akribische Dokumentation der Ge­ suche um Erwerbsausfallentschädi­ gungen führe zumVollzeitbürojob vor dem Computer: «Raum oder Energie für Kreativität bleibt da nicht.» Bekümmerte Buben Mit dabei und ebenfalls keine Sekunde lang auf der Ghost-Festival-Bühne an­ zutreffen ist die Berner Rumpelrock­ Band «Kummerbuben». Die Band kennt viele renommierte, reale Festi­ valbühnen. Doch derzeit blickten auch sie auf ein praktisch konzert­ freies Jahr zurück, sagt Urs Gilgen (Gitarre, Banjo, Mandoline). Andere behaupteten, das Pandemiejahr habe sie beflügelt. In ihrem Fall treffe das nicht zu, sagt Gilgen: «Wir sind eine Band, die Rückenwind braucht, also konkrete Ziele. Wozu also proben?» Und «Pandemiemusik» wolle die Band keine machen: «Das finden wir sehr unnötig.» Gilgen skizziert das Depri­ mierende des permanent Unverbind­ lichen: Werde ein Konzert zweimal, dreimal, viermal auf ein immer ferne­ res Datum verschoben, «dann fragt man sich, ob die Suche nach einem weiterenErsatzdatumüberhaupt Sinn macht». Das Dunkel am Ende des Tunnels Verschieben, vertagen, trostloses Ver­ trösten. Die Zeit verfliegt. Mezzoso­ pranistin Stephanie Szanto spricht längst nicht nur von einemverlorenen Jahr, sondern von verlorenen Jahren – im Plural. Die ganze Kulturbranche habe enormen Schaden genommen. Weil zugleich öffentliche Gelder für denKulturbereichwegbrechen, bleibe völlig unklar, ob sichBühnen, Konzert­ anbieter und (nicht fiktionale) Festi­ vals wieder erholten: «Für Musikerin­ Zum Beispiel Stephan Eicher: Einer der grossen Namen am Ghost-Festival. Am Tag X blieb er gänzlich und in jeder Hinsicht unplugged. Foto Keystone Zum Beispiel Stephanie Szanto: Die Mezzosopranistin blieb am Ghost- Festival ungehört. Foto zvg

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