Schweizer Revue 3/2021
Schweizer Revue / Juni 2021 / Nr.3 8 Schwerpunkt auf Deutsch statt auf Rätoromanisch? Naomi Arpagaus lacht: «Inmeiner Generation posten wir hauptsächlich auf Englisch.» Englisch dominiert In der Tat etabliert sich Englisch immer mehr zur fünften «Landessprache», nimmtman die Sonderstellung des Hoch- deutschen aus (siehe Kasten). Englisch ist mit Abstand die am meisten verbreitete Nichtlandessprache (45 Prozent). Insbesondere bei der jüngeren Generation: Bei den 15- bis 24-Jährigen verwendeten 2019 fast drei Viertel regelmäs- sig Englisch. «Und das ist gut so», sagt Verio Pini, «mehr noch: Das ist sogar unentbehrlich.» Er ist Präsident der Ver- einigung Coscienza Svizzera, die sich für die Sprachenviel- falt einsetzt. Diese lebt er auch imAlltag: Pini ist imTessin aufgewachsen, hat in Lausanne und Bern studiert, wohnt halb in Bern und halb imTessin, und verwendet in seinem Alltag auch Französisch, Englisch und Spanisch, insbeson- dere bei der Lektüre der Presse. So wichtig Englisch heutzutage sei: «Es übt jedoch viel Druck auf die Landessprachen aus. Nicht nur auf das minoritäre Rätoromanisch und Italienisch, sondern auch auf das Deutsch in Genf oder das Französisch in Zürich.» Häufig würden Sprachen nur in ihrem Sprachgebiet geför- dert, dabei sei heute, angesichts der grossen kulturellen Vielfalt und Mobilität der Blick über die Sprachgrenzen nötig: «Italienisch etwa wird nördlich der Alpen vonmehr Personen gesprochen als im Tessin.» Dies habe die Politik erkannt: Bereits in der Kulturbotschaft 2016–2020 hatte der Bundesrat das Ziel festgehalten, die italienische Sprache undKultur ausserhalb der italienischen Schweiz zu fördern. Das Parlament drängt indes auf eine weitergehende, dyna- mischere Förderung der Mehrsprachigkeit – dies, um den nationalen Zusammenhalt und die Integration zu fördern. «Klar wäre die Verständigung zwischen den verschie- denen Sprachregionen einfacher, wenn alle Englisch ver- wendenwürden. Doch für den nationalen und sozialenZu- sammenhalt reicht die vereinfachte Verständigung nicht», sagt Pini. «Man muss auch die Kultur der anderen Sprach- Schweizer- oder Hochdeutsch? Für die einen ist Schweizerdeutsch ein Dialekt, für die anderen eine eigene Sprache. Für Jürg Niederhauser, Präsident des Schweizeri- schen Vereins für die deutsche Sprache (SVDS), ist dies letztlich eine «ideologische Frage», die sich nicht aufgrund sprachwissenschaft licher Gegebenheiten entscheiden lasse. Klar ist: Für Personen aus einer anderen Sprachregion oder aus dem Ausland bildet das im Alltag verwendete Schweizerdeutsch oft eine Hürde. Heute wird zudem immer häufiger Mundart gesprochen, da die Ausdrucksweisen zunehmend informell werden: «Vor 70 Jahren wurde ein Sportmatch am Fernsehen noch Hochdeutsch kommentiert, heute braucht man Mundart», sagt Niederhauser. Dies mache das Verständnis für Nichtdeutschschweizer schwieriger – und sorge wiederum dafür, dass Deutschschweizer mehr Hemmungen hätten, Hochdeutsch zu sprechen, da dieses fast nur im formellen Kontext, etwa in der Schule, verwendet werde. (EH) «Englisch übt viel Druck auf die Landessprachen aus. Nicht nur aufs minoritäre Rätoromanische und Italienische, sondern auch aufs Deutsche in Genf oder das Französische in Zürich.» Verio Pini regionen verstehen.» Die Schweizer Bevölkerung ist sich dessen anscheinend durchaus bewusst: Gemäss der Studie des Bundesamts für Statistik sind 84 Prozent der Schwei- zer Bevölkerung der Meinung, dass Kenntnisse mehrerer Landessprachen wichtig für den Zusammenhalt in der Schweiz seien. Sprachenlernen nicht nur in der Schule Dieser Meinung ist auch Philipp Alexander Weber. In Winterthur aufgewachsen, kam er für das Wirtschaftsstu- diumnach Freiburg – und hatte anfangsMühemit der fran- zösischen Sprache. «In der Schule war ich eher der Mathe Typ.» Schon bald stellte er fest: Vor Ort lernte er die Sprache deutlich besser als durch Grammatikbücher. Deshalb gründete er 2007 die Organisation friLingue, die Sprach- aufenthalte für Jugendliche in der Schweiz anbietet. «Da- mit wollte ich Brücken über den Röstigraben schlagen», er- klärt Weber. Heute nehmen an den Sprachcamps von friLingue pro Jahr rund 1000 Kinder und Jugendliche zwischen 8 und 18 Jahren teil. Insbesondere bei denWestschweizer Jugend- lichen konnteWeber einenZuwachs feststellen: «Während Französisch – die Sprache der Diplomatie – für Deutsch- schweizer schon immer anziehendwar und als Zeichen für Bildung galt, haben die Romands ein eher schwieriges Ver- hältnis zum Deutsch. Allein, weil sie in der Schule Hoch- deutsch lernen, in Bern, Zürich und Basel aber unterschied-
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