Schweizer Revue 4/2021

Schweizer Revue / August 2021 / Nr.4 22 Politik Das letzte Zusam- mentreffen vor dem Nein aus Bern zwi- schen Bundespräsi- dent Guy Parmelin und EU-Kommissi- onspräsidentin Ursu- la von der Leyen. Zu- gewandtheit sieht anders aus: Haltung und Ausdruck lassen die «unüberwindba- ren Differenzen» be- reits erahnen. Foto Keystone THEODORA PETER «Schwarzer Tag», «Fehlentscheid» oder doch ein «Befreiungs- schlag»?Mit welchemTitel der 26. Mai 2021 in die Chronik der Beziehungen zwischen der Schweiz und Europa eingehen wird, wird sich erst im Rückblick zeigen. An jenem kühlen und regnerischenMittwoch traten in Bern drei Mitglieder der Landesregierung vor die Medien, ummit ernsten Gesichtern den Abbruch der Verhandlungen mit Brüssel zu verkünden. Bundespräsident Guy Parmelin (SVP) - flankiert von Aussen- minister Ignazio Cassis (FDP) und Justizministerin Karin Keller-Sutter (FDP) – erklärte es so: «Die Verhandlungen haben nicht zu den nötigen Lösungen geführt.» Der unspektakuläre Satz stand ganz im Widerspruch zur Sprengkraft seines Inhalts: Nach sieben Jahren zäher Verhandlungen steht die Schweiz vom Verhandlungstisch auf und schlägt die Türe hinter sich zu. Das Rahmenabkommen hätte die gesamten Beziehungen zwischen der EU und dem Nicht-EU-Land Schweiz regeln sollen. Das ist schon deshalbwichtig, weil für die Schweiz die EU der wichtigste Handelspartner ist. Und: Der Rahmenver- trag hätte alle bisherigen bilateralen Abkommen ablösen sol- len. Der Entwurf dazu lag seit 2018 zur Unterschrift bereit, nachdem die EU die Verhandlungen von ihrer Seite als been- det erklärt hatte. Doch die Schweiz verlangte weitere «Präzi- sierungen» zu umstrittenen Punkten – unter anderem zum Lohnschutz und zu den Aufenthaltsrechten von EU-Bürgern in der Schweiz (siehe «Revue» 2/2019). DieDifferenzen blieben letztlich unüberbrückbar: Auch die erst kürzlich nach Brüs- sel entsandte, neue Unterhändlerin Livia Leu konnte die Stolpersteine nicht mehr aus dem Weg räumen. Ihr blieb schliesslich nichts anderes übrig, als den Absagebrief der Landesregierung in die EU-Zentrale zu überbringen. Für einenAnruf des Schweizer Bundespräsidenten hatte EU-Kom- missionspräsidentin Ursula von der Leyen «keine Zeit». Mit anderenWorten: In Brüssel war man nachhaltig verstimmt. Volk wird nicht befragt Auch in der Schweiz sorgte der Verhandlungsabbruch vieler- orts für Konsternation – insbesondere auch deshalb, weil der Bundesrat einen solch weitreichenden Entscheid ohne Ein­ bezug von Parlament und Stimmvolk gefällt hatte. Po litbe­ obachter wie der Historiker Thomas Maissen warfen der RegierungMutlosigkeit vor, weil sie einer innenpolitischen Auseinandersetzung rund um das Vertragswerk ausgewi- chen und den «Weg des geringstenWiderstands» gegangen sei. Tatsächlich war die Mehrheitsfähigkeit des Rahmen- abkommens höchst fraglich: Nebst der SVP, die den «Unter- werfungsvertrag» grundsätzlich bekämpft hatte, stellten sich auch die Gewerkschaften quer. Mit Ausnahme der GLP war die Skepsis zudem bei den übrigen Parteien gross. Darüber hinaus war wenig hilfreich, dass Brüssel in den Verhandlungen kaumKompromissbereitschaft zeigte. Wie soll es nun weitergehen? Einen eigentlichen «Plan B» präsentierte der Bundesrat nicht. Er hofft weiterhin auf den bilateralen Weg. Dies, obwohl die EU klargemacht hatte, man werde ohne ein Rahmenabkommen mit der Schweiz weder neue Verträge abschliessen noch bisherige Verträge erneuern. Der Bundesrat hat der europäischen Die Schweiz vor unsicherer Zukunft in Europa Der Bundesrat lässt das Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (EU) scheitern. Trotzdem will er den bilateralen Weg fortsetzen: ein riskanter Plan mit vielen Fragezeichen. Das letzte Zusammen- treffen vor dem Nein aus Bern zwischen Bundespräsident Guy Parmelin und EU-Kom- missionspräsidentin Ursula von der Leyen. Zugewandtheit sieht anders aus: Haltung und Ausdruck lassen die «unüberwindbaren Differenzen» bereits erahnen. Foto Keystone

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