Schweizer Revue 4/2021

Schweizer Revue / August 2021 / Nr.4 3 «Bern schlägt die Türe zu»: So spitzte die oft so nüch- terne «Neue Zürcher Zeitung» die Tatsache zu, dass die Schweizer Regierung EndeMai einseitig entschied, nicht mehr länger mit der Europäischen Union (EU) zu verhandeln. Verhandelt hatte sie zuvor über sieben Jahre über einen Rahmenvertrag, der das «Konkubi- natsverhältnis» zwischen der EU und dem Nicht-EU- Land Schweiz verlässlich hätte regeln sollen. Der Bun- desrat erklärte diesen Vertrag nun zur Makulatur. Schlägt jemand die Türe zu, zucken viele erschrocken zusammen und fragen sich: Was war das eben gerade? Es war nicht nur ein Knall. Der Schritt ist für schweizerische Verhält- nisse auch ungewöhnlich, untypisch und irrtierend. Ungewöhnlich ist er, weil an sich die stete Konsenssuche die DNA der Schweizer Politik ausmacht. Nach Jahren eineMonsterverhandlung einseitig als komplett gescheitert zu bezeichnen: Das ist man sich von der Schweizer Regierung nicht gewöhnt. Angesichts der Unsicherheiten, zu denen er führt, ist der Schritt radikal. Untypisch ist er, weil die Schweiz als Kleinstaat stets ganz stark darauf setzt, den Dialog nie abbrechen zu lassen. Oft setzt die Schweizer Regierung noch dann auf Diplomatie und Dialog, wenn andere europäische Staaten schon längt zu Retorsionsmassnahmen oder zur Keule der Sanktionen grei- fen. Gründlich irritierend ist schliesslich, dass der Bundesrat über die Jahre den immer gleichenVertragstext vor sichhatte, seinUrteil darüber aber stark revidierte. Noch 2019 wähnte man sich fast am Ziel. Es gelte lediglich noch vier Punkte zu «präzisieren», hiess es. Doch am26. Mai 2021 sagte der gleiche Bundesrat zum gleichen Vertragswerk, es sei voller «unüberwindbarer Dif- ferenzen». Das wirkt reichlich richtungs- und ratlos. Der Entscheid ist eine Zäsur. Für die weit über 400000 Schweizerinnen und Schweizer in der EU führt sie zuVerunsicherung.Welches die Folgen für ihr Leben und ihren Alltag sind, ist zwar noch offen. Neue Komplikationen sind aber wahrscheinlicher als neue Erleichterungen. Wie politisch ist die heutige Jugend, die dereinst über den Effekt der «zu- geschlagenen Türe» wird urteilen dürfen?Wir haben gleich sechzehn 16-Jäh- rige interviewt und gefragt, wie sie esmit der – politischen –Mitbestimmung haben. Aus der Luft gegriffen ist die Frage nicht: In mehreren Kantonen der Schweizwirdüber die Senkung des Stimmrechtsalters auf 16 Jahre diskutiert. Die, um die es dabei geht, stehen deshalb in der aktuellen «Revue» im Fokus. MARC LETTAU, CHEFREDAKTOR Editorial 5 Briefkasten 6 Schwerpunkt Der Wunsch vieler Jugendlicher: das Stimmrechtsalter auf 16 Jahre senken 15 Reportage Die kleinen Urner Seilbahnen bilden das luftigste Verkehrsnetz der Schweiz 18 Gesellschaft Schweizer Holocaust-Gedenkstätte: Ein wichtiger Schritt ist getan 20 Gesehen Auch 150 Jahre danach berührt das Los der 1871 internierten Bourbaki-Armee 22 Politik Bundesrat bricht die Verhandlungen mit der EU ab: Viele Fragen bleiben Das gescheiterte CO₂-Gesetz ist für die Schweizer Klimapolitik eine Zäsur Schwule und Lesben in der Schweiz hoffen aufs Recht zur «Ehe für alle» 28 Corona Das erschöpfte Pflegepersonal fordert jetzt tiefgreifende Verbesserungen 30 Literatur 32 SwissCommunity-News Der scheidende ASO-Präsident Remo Gysin im Interview 35 Aus dem Bundeshaus 38 Gelesen / Gehört 39 Herausgepickt / Nachrichten Inhalt Zäsur mit unklaren Folgen Titelbild: Die 16-jährige Johanna aus Brugg (AG), fotografiert von Kaspar Ruoff Herausgeberin der «Schweizer Revue», dem Informationsmagazin für die Fünfte Schweiz, ist die Auslandschweizer-Organisation.

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