Schweizer Revue 4/2021

Schweizer Revue / August 2021 / Nr.4 7 Strahlende Jugend­ liche am Rande der Glarner Landsge­ meinde vom 6. Mai 2007: Ihr Strahlen galt dem eben einge­ führten Stimmrecht für 16-Jährige. Foto Keystone Das spricht aus Sicht des Zürcher Regierungsrats ebenso für eine Ver­ jüngungskur der Stimmberechtigten wie die Pflege des direktdemokrati­ schen Nachwuchses: Beziehe man Jugendliche sofort nach der obligato­ rischen Schulzeit, wenn der Staats­ kundeunterricht noch frisch in den Köpfen ist, in politische Entschei­ dungen ein, erhöhe dies dieWahr­ scheinlichkeit, dass sie langfristig die Gewohnheit entwickeln, zu wählen und abzustimmen. Die Frage der Mündigkeit Die ablehnende Berner Kantons­ regierung hingegen legt ihr Augen­ merk auf das Auseinanderklaffen von ziviler und politischer Mündigkeit. Erst mit 18 darf man rechtskräftige Unterschriften unter Verträge setzen. Würde Stimmrechtsalter 16 einge­ führt, hiesse das: Referenden und In­ itiativen darf man zwar nicht unter­ schreiben, über sie abstimmen aber schon. Ebenso müsste das aktive und passive Wahlrecht auseinanderdivi­ diert werden: Wählen dürfte man, für ein Amt kandidieren erst zwei Jahre später. Diese Argumentation sei «eine Nebelpetarde, die verhindert, dass wir ein System schaffen, das tatsäch­ lich auf junge Menschen zugeschnit­ ten ist», sagt der 21-jährige Philippe Kramer von der politisch unabhängi­ gen Interessengruppe Stimmrechts­ alter 16. Der von den Gegnern vorge­ brachte Begriff der Mündigkeit sei veraltet, findet Kramer. Entscheidend sei die Urteilsfähigkeit – also das Vermögen, die Folgen einer Stimm­ abgabe logisch abzuschätzen. «Das können 16-Jährige ohne Zweifel», sagt Kramer. Das sogenannte «kalte Denken», die Fähigkeit, in Ruhe ohne Zeitdruck und Beeinflussung aus dem Freundeskreis Entscheidungen zu fällen, sei mit 16 voll entwickelt, sagt er mit Verweis auf Psychologen. Tauchen auf Instagram Allerdings stellt sich die Frage, wo sich die junge Generation das Wissen holt um abzustimmen. 70 Prozent der 15- bis 25-Jährigen informieren sich laut einer Umfrage höchstens einmal dieWoche über das politische Geschehen. Aber: Es gibt Initiativen, die Gegensteuer geben. Die Organi­ sation Easyvote bemüht sich mit Videoclips und Broschüren zu Ab­ stimmungen undWahlen seit Jahren um niederschwellige Information. Und seit wenigen Monaten online ist ein Kollektiv junger Journalistinnen und Journalisten mit dem Projekt «@tauch.station». Sie arbeiten dezi­ diert mit den sozialen Medien. «@tauch.station» recherchiert politi­ sche Themen und bereitet sie für den bei Jugendlichen besonders belieb­ ten, bilderlastigen Social-Media- Kanal Instagram auf. Es sei nicht so, dass Jugendliche per se desinteres­ siert an Politik seien. Aber «Demo­ kratie heisst in unseren Augen auch Zugänglichkeit», sagt die 29-jährige Mitgründerin Alice Grosjean. Vor allem in der Online-Welt, in der Ju­ gendliche oft unterwegs sind, seien politische Themen zu wenig präsent. Oder zu kompliziert dargestellt. Dagegen tritt «@tauch.station» an. Man könnte sagen: Die junge Ge­ neration ist bereit für Stimmrechts­ alter 16. Die erwachsenen Stimmbe­ rechtigten müssen es noch werden. Nationalrätin Sibel Arslan (BS) verhalf dem Thema Stimm­ rechtsalter 16 auf nationaler Ebene zu einem ersten Zwischenerfolg. Foto Keystone

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