Schweizer Revue 5/2021

Schweizer Revue / Oktober 2021 / Nr.5 6 Schwerpunkt EVEL INE RUTZ Die Kosten steigen, Reformpläne scheitern und Fachkräfte fehlen: Im Schweizer Gesundheitswesen läuft einiges nicht gut. Das Pflege- personal hat schon vor Corona Alarm geschlagen. Es klagt über schlechte Arbeitsbedingungen und fehlende Wertschätzung. Nach eineinhalb Jahren Pandemie ist es körperlich und emotional defini- tiv erschöpft (siehe auch «Schweizer Revue» 4/2021). Der Druck auf die Pflege steigt allerdings weiter, weil demografische und gesellschaft- liche Entwicklungen die Situation stetig verschärfen. Gemäss Prog- nosen dürften bis 2030 rund 65000 Pflegende fehlen. Personalver- bände und Fachleutewarnen vor einemNotstand. Die Volksinitiative «für eine starke Pflege» soll helfen, einen solchen abzuwenden. Am28. November 2021 stimmt das Volk über diese Initiative ab. Viele hängen den Beruf an den Nagel In der Schweiz arbeiten rund 214200 Personen imPflegebereich. Die meisten sind in Spitälern (45 Prozent) und Pflegeheimen (41 Prozent) tätig. 14 Prozent sind bei Spitex-Organisationen angestellt. Und viele Pflegerinnen und Pfleger arbeiten Teilzeit. Ein 100-Prozent-Pensum sei kaum zu bewältigen, berichten sie. Das allgemeine Bild: Der Schichtbetrieb erschwert es, privaten Interessen und familiären Ver- pflichtungen nachzukommen; die Arbeit ist physisch und psychisch belastend; und der Spardruck imGesundheitswesen führt dazu, dass Abteilungen minimal besetzt und zur Effizienz angehalten werden. Pflegende haben oft wenig Zeit, um auf individuelle Bedürfnisse ein- zugehen und mit Patienten über scheinbar Nebensächliches zu plau- dern. Sie leiden darunter, dass sie ihren Beruf nicht so ausüben kön- nen, wie sie es angemessen fänden. Viele steigen daher vorzeitig aus. Ein Drittel jener, die sich vom Pflegeberuf abwenden, ist noch nicht einmal 35 Jahre alt. Zugewanderte füllen Lücken Im Pflegebereich sind in der Schweiz so viele Stellen ausgeschrieben wie noch nie. Personalverantwortliche haben Mühe, sie zu besetzen. Sie suchen deshalb die Fachkräfte häufig im Ausland. Von der Ärzte- schaft des Ostschweizer Kinderspitals beispielsweise haben 42 Pro- zent einen Schweizer, 36 Prozent einen deutschen und 8 Prozent ei- nen österreichischen Pass. Das diplomierte Pflegepersonal besteht Die Bevölkerung der Schweiz altert, die Zahl komplexer Krankheitsfälle steigt. Das ist fürs hochstehende Schweizer Gesundheitswesen eine enorme Herausforderung. Verschärft wird sie durch den Mangel an gut ausgebildetem Personal: Jene, die pflegen, sind stark gefordert – und arbeiten immer häufiger am Limit. Das Gesundheits­ wesen der Schweiz droht selbst zum Pflegefall zu werden

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