Schweizer Revue / Dezember 2021 / Nr.6 21 Nach dem klaren Volksentscheid zugunsten der «Ehe für alle» war die Stimmung beim befürwortenden Komitee ausgelassen. Foto Keystone der gelebten gesellschaftlichen Realität anpassen, sagt sie. «Die Ehe darf nicht länger als Standard-Lebensformgelten.» Privilegien auf Kosten der Singles Alleinstehende hätten in der Schweiz häufig das Nachsehen, sagt Sylvia Locher, Präsidentin von Pro Single Schweiz. Gesellschaftund Politikmachten Paargemeinschaften und Familien laufend Zugeständnisse. «Wir Singles finanzieren indirekt alles mit, ohne davon profitieren zu können.» Tatsächlich sind Alleinstehende in einigen Bereichen benachteiligt. Sie werden nach einem höheren Tarif besteuert als Verheiratete. Wenn sie sterben, können sie ihr Pensionskassenguthaben nicht vererben. VomrestlichenVermögen geht bis zu 50 Prozent an die öffentlicheHand. «Da bräuchte es schon lange Verbesserungen», sagt Sylvia Locher. Leider hätten die Alleinstehenden in Bern eine schwache Lobby. Andrea Caroni bestätigt diesen Eindruck. Ammeisten Gehör fänden Familien, sagt der FDP-Ständerat. «Zusammen mit dem ‹Mittelstand› und den ‹KMU› gehören sie zu den Säulenheiligen der Politik.» Die Situation von Familien und Paarenwird denn auch regelmässig analysiert. Ein Bericht über die Lebensumstände von Singles fehlt hingegen. Caroni möchte, dass diese Lücke geschlossenwird. Er setzt sich zudem für Konkubinatspaare ein und schlägt vor, einen «Pacte civil de solidarité» zu schaffen, wie ihn Frankreich kennt. «Das ist eine niederschwellige Möglichkeit für Paare, sich als solches zu registrieren, ohne gleich das Vollprogramm der Ehe einzugehen.» Dauerthema Heiratsstrafe Die sogenannte Heiratsstrafe bietet ebenfalls Diskussionsstoff. Nach geltendem Recht werden Eheleute gemeinsam besteuert, was Doppelverdiener benachteiligt. Wegen der Progression bleibt vom tieferen Einkommen in vielen Fällen kaumetwas übrig. Ein Initiativ-Komitee weibelt daher für eine zivilstandsunabhängige Individualbesteuerung. Auchwas denUmgangmit sexuellenMinderheiten betrifft, stehen Debatten an. Transmenschen und non-binärePersonen fordern, dass sie besser vor Diskriminierung geschützt werden. Das nationale Parlament hat bereits beschlossen, dass man sein amtliches Geschlecht künftig relativ einfach ändern lassen kann. Mit der Frage, ob ein drittes Geschlecht eingeführt werden soll, wird es sich demnächst befassen. Klar verworfen haben die Stimmberechtigten am 26. September die 99-Prozent-Initiative der Jungsozialisten (Juso). 65 Prozent lehnten es ab, Kapitalerträge stärker zu besteuern. Sämtliche Kantone sagtenNein. In der fünften Schweiz ergab sich nur eine knappe Nein-Mehrheit: Sie lag bei 51 Prozent. Die kommenden Abstimmungen vom 13. Februar 2022 Tabakwerbung: Die von Gesundheitsorganisationen eingereichte Initiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung» fordert ein generelles Werbeverbot für Zigaretten. Heute ist Tabakwerbung einzig in Radio und Fernsehen untersagt. Die Gegner befürchten eine Beschränkung der Wirtschaftsfreiheit. Tierversuche: Eine radikale Abkehr von der heutigen Pharmaforschung verlangt ein Bürgerkomitee als Urheber der Initiative «Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot». Bundesrat und Parlament gehen diese Forderungen zu weit. Sie warnen vor negativen Folgen für die Versorgung mit Arzneimitteln. Steuern: Die Emissionsabgabe auf Eigenkapital (Stempelsteuer) soll laut dem Willen des Parlamentes abgeschafft werden. Der Bund verliert dadurch Einnahmen von jährlich 250 Millionen Franken. Gegen ein solches «Steuergeschenk» für Konzerne und Kapitalbesitzer wehren sich SP, Grüne und Gewerkschaften per Referendum. Medienförderung: Der Bund will die kriselnden Schweizer Medien in den nächsten Jahren mit zusätzlich 120 Millionen Franken unterstützen. Ein rechtsbürgerliches Nein-Komitee will diese «schädlichen Subventionen» per Referendum verhindern. Es befürchtet «staatlich finanzierte Medien» und sieht deren Unabhängigkeit gefährdet. Inland 64 % Ja 36 % Nein Ausland 72 % Ja 28 % Nein Die Zustimmung zur «Ehe für alle» war bei den Stimmenden der Fünften Schweiz mit 72 Prozent Ja besonders hoch.
RkJQdWJsaXNoZXIy MjYwNzMx