Schweizer Revue / Dezember 2021 / Nr.6 30 Mit seinen FormationenRonin undMobile ist Nik Bärtsch in der europäischen Jazzszene schon länger eine bekannteGrösse. «Entendre» ist für ihn dennoch eine bedeutende Wegmarke. Zum einen ist es nach zwölf Veröffentlichungen das erste Soloalbum überhaupt. Zum anderen bringt der Pianist aus Zürich erstmals ein Werk beim deutschen Kultlabel ECM heraus. Die Plattenfirma steht seit den 70er-Jahren für wegweisenden, ätherisch anmutenden Jazz und für Klangwelten, die das Genre nachhaltig verändert haben. Neben Alben von Jan Garbarek, Ralph Towner oder Eberhard Weber erschien einst unter anderem das legendäre Kölner Konzert von Keith Jarrett auf ECM. Die Veröffentlichung von «Entendre» kommt für Nik Bärtsch einer Auszeichnung gleich. Und seine Musik reiht sich tatsächlich bestens imKatalog des Labels ein. Sie atmet und fliesst. Sie füllt Zeit und Raum und entfaltet eine mantraartige Intensität. Das Album, aufgenommen im grossen Konzertsaal des Stelio Molo in Lugano, besteht aus sechs Nummern, fünf davon bezeichnet der 50-Jährige als «Module». Das sechste Stück nennt er «Déjà-Vu, Vienna». Es sind eher Versatzstücke und Vorlagen, repetitiv aneinandergehängt, denn durchkomponierte Lieder, hypnotisch und groovig, klar strukturiert und dennoch frei, kontrolliert und extatisch zugleich – wobei Bärtsch der Improvisation sehr viel Raum lässt. «Meine Musik zeigt eine enge Affinität zum architektonisch organisierten Raumund wird von den Prinzipien der Wiederholung und Reduktion sowie von ineinandergreifenden Rhythmen bestimmt», sagt Nik Bärtsch. «Ein Musikstück kann betreten werden, bewohnt wie ein Raum.» So kopflastig diese Aussage, so unmittelbar und intuitiv ist seine Musik. «Entendre» hat in seiner Trance ausserdemetwasMystisches, wie so viele Werke des Pianisten. Und zum Mystischen passt wiederum Bärtschs Aussehen. Wie ein fernöstlicher Mönch mit kahlgeschorenem Kopf und dünnem Bärtchen und ganz in schlichtes Schwarz gekleidet, betritt der Schweizer jeweils die Bühne. So wird das Erlebnis amEnde zu einemstimmigenGesamtkunstwerk, dessen Berücksichtigung auf ECM so logisch wie hoch verdient ist. MARKO LEHT INEN In diesem Buch steht kein überflüssiges und auch (fast) keinüberraschendesWort, und vermutlich wirkt es gerade darum beruhigend wie die Vollatmung in einer Yogastunde. Sie sitzen, die kurzen, trockenen, vor- und rückwärts geprüften Sätze, mit denen die Autoren die Substanz des Landes auf 170 kleine Buchseiten einkochen. Und trotzdem gestehen sie auf Seite 151 sogar der Corona-Pandemie und der umstrittenen Rolle des Bundesamts für Gesundheit (BAG) die notwendigenZeilen zu. Eigentlich hat «Der kleine Schweizermacher» mit dem ambitionierten Untertitel «Alles Wichtige über unser Land», einen unheilvoll klingenden Titel. Er erinnert an den Film, den der Schweizer Regisseur Rolf Lyssy 1978 gedreht hatte und der die Einbürgerungspraxis der Schweiz kritisierte. «Der kleine Schweizermacher», eben in seiner dritten Auflage erschienen, dreht den Spiess quasi um und bereitet den Stoff, den Einbürgerungswillige intus habenmüssen, für Schweizerinnen und Schweizer auf. Natürlich steht da nichts, was man nicht wissen sollte. Aber dann nimmt die erwachsen gewordene Tochter zumerstenMal ihr Stimmrecht wahr, es handelt sich um eine Referendumsabstimmung. Und man ist froh, auf ihre entsprechende Frage mit laienverständlichen Sätzen aus dem «Kleinen Schweizermacher» antworten zu können. Für die vielen Facetten der Schweiz die zutreffenden Worte präsent zu haben, ist schon nur im Familiengespräch oft gar nicht so einfach. Und ja: Man erhält bei der Lektüre eine Vorstellung, was es heisst, für das Einbürgerungsverfahren fit zu sein. Zweifellos gibt es im«Kleinen Schweizermacher» auch Lücken, die ein ältliches Bild vermitteln. Das Kapitel zur Literatur etwa erwähnt die vier Männer Francesco Chiesa, Charles Ferdinand Ramuz, Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt. Dann ist Schluss. Tiefer blicken lassenhingegen etwa die Ausführungen zumThema Versicherungen. Die Rede ist von einer «Mentalität, sich im Leben gegen alle Risiken absichern zu wollen». Deshalb schlössen Schweizerinnen und Schweizer, schreiben die Autoren, «Versicherungen ab, die kaum Sinn machen oder sogar schon durch andere Versicherungen gedeckt sind». Ähnlich lapidar formuliert das Autorentrio zu den Kirchenglocken: «Während viele diese Tradition schätzen, empfinden manche das Glockengeläute als Lärmbelästigung.» Solche Sätze bringen die Schweiz auch für Schweizerinnen und Schweizer auf den Punkt. JÜRG STEINER Module und Improvisation Der kleine Schweizermacher Gehört Gelesen NIK BÄRTSCH: «Entendre». ECM, 2021. DANIEL HURTER, URS KERNEN, DANIEL V. MOSER-LÉCHOT Der kleine Schweizermacher. hep Verlag, Bern. 2021. 3. Auflage. 170 Seiten. 29 Franken.
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