Schweizer Revue 1/2022

Schweizer Revue / Februar 2022 / Nr.1 8 Schwerpunkt sich exemplarisch imBündner Bergell: Die Elektrizitätswerke Zürich, die in den 1950er-Jahren den Albigna-Staudammbauten, sind bis heute einer der grössten Arbeitgeber im Tal. Heftige Abwehrreflexe Gelegentlich geht ob der mythischen Überhöhung der Wasserkraft jedoch vergessen, dass ihr Ausbau schon früh heftige Abwehrreflexe auslöste. Legendär ist das Bündner Dorf Marmorera, das sich 1954 erst nachmehreren Enteignungsverfahren dem Untergang im gleichnamigen Stausee fügte. Bereits ab 1920 kursierten Pläne, das gesamteUrnerUrserental in einem Stausee zu versenken. NachdemZweiten Weltkrieg, als das Projekt wegen Versorgungsengpässen vorangetriebenwurde, kames inAndermatt zu einemgewalttätigenVolksaufstand, der das Ende des Vorhabens beschleunigte. «AKW-Filialen in den Alpen» Wennman verstehenwill, warumdie Wasserkraft ihren Nimbus einbüsste, ist jedoch 1986 das Schlüsseljahr. Nach jahrelangem Ringen beerdigten die Kraftwerke Nordwestschweiz ihren Plan, die Greina-Ebene zwischen Graubünden und Tessin zu fluten und als Speichersee zu nutzen. Eine Koalition von wachstumskritischen Natur- und Landschaftsschützern aus der ganzen Schweiz mit der lokalen Opposition hatte die abgelegene Hochebene auf die Traktandenliste der nationalen Politik gebracht. Die Greinawurde zumSymbol für ökologische Grundsatzkritik am Profitkreislauf der Wasserkraft, die eine Liaison mit der umstrittenen Kernenergie eingegangen war. Das kritisierte Prinzip funktioniert so: Günstiger, in Randzeiten nicht benötigter Atomstrom wird benutzt, Wasser hoch in die Speicherseen zu pumpen. Die Kraftwerkbetreiber können so während Nachfragespitzen hochpreisigen Strom herstellen und maximieren ihrenGewinn. Legitimieren diese profitorientierten «AKW-Filialen in denAlpen», wie Kritiker zuspitzen, die Preisgabe der letzten natürlichen Gebirgs- und Flusslandschaften? Grenzen des Wachstums? An dieser existenziellen Frage reiben sich Befürworter und Gegnerinnen des Wasserkraftausbaus seit über 30 Jahren. Mitunter, wie beimvorerst gescheiterten Versuch, die Mauer des Grimselstausees zu erhöhen, führt die Auseinandersetzung bis vor Bundesgericht. 95 Prozent des nutzbaren Wasserkraftpotenzials werden laut der UmweltorganisationWWF inder Schweiz heute bereits genutzt. Obschon der Bund derWasserwirtschaft schärfere ökologische Auflagen in Form von Restwassermengen macht, hält der WWF die Belastungsgrenzen für «längst überschritten»: 60 Prozent der einheimischen Fisch- undKrebsarten seien ausgestorben oder vom Aussterben bedroht. TrotzdemsindHunderte Aus- und Neubauten oft kleiner Wasserkraftwerke geplant. Das grösste und deshalb amheftigsten debattierte von ihnen soll im neuerdings freigelegten Vorfeld des geschrumpften Triftgletschers entstehen. Erhöhter Leistungsdruck Im Vergleich zur Greina-Epoche hat sich die Konfliktsituation weiter verschärft. Zwei neue Problemfelder sind hinzugekommen. Erstens: Klimaerwärmung und Gletscherschmelze führen dazu, dass sich die höchsten Wasserabflüsse jahreszeitlich vom Sommer in Richtung Frühjahr verschieben. Zweitens: Der nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima gefällte politische Entscheidder Schweiz, die Atomkraftwerke sukzessive abzustellen, sie mit erneuerbaren Energiequellen zu ersetzen und damit das Schwerer als die Cheops-Pyramide: Die mächtige Staumauer Grande Dixence. Sie ist das höchste Bauwerk der Schweiz. Foto Keystone

RkJQdWJsaXNoZXIy MjYwNzMx