Schweizer Revue 2/2022

Schweizer Revue / April 2022 / Nr.2 kein Gebäude gegenüber versperrte sie. Es war seltsam, man fühlte sich nicht eingeengt wie in einer Stadt», erzählt die ehemalige Buchhalterin aus Pruntrut. Seither ist viel Zeit vergangen, die Kinder sind aus dem Haus, und nun bereiten sichMichèle und ihr Mann auf den Umzug in ein Haus mit sozialmedizinischer Betreuung vor. Sie bleiben in der Nähe von Le Lignon. Der Genfer Bauträger und Architekt Georges Addor (1920–1982) leitete das Projekt, das ursprünglich für bis zu 10000 Bewohnerinnen und Bewohner vorgesehen war. Er hätte sich STEPHANE HERZOG Es war das Jahr 1974. Michèle Finger erinnert sich an ihre Ankunft in Le Lignon. Sie sass mit ihrem zukünftigen Ehemann im Auto. Neben ihr erstreckte sich die Siedlung mit ihren 2780Wohnungen und 84 Alleen über mehr als einenKilometer: «Siewar unvorstellbar, gewaltig. Zuvor hätte ich mir ein Gebäude dieser Grösse nicht vorstellen können.» Sein Inneres beruhigte sie. «Mein Freund wohnte in einer Vierzimmerwohnung. Siewar schön gestaltet und sehr hell. Die Aussicht war grandios, über die Worte von Michèle gefreut. «Das Wohl der Menschen beschäftigt einen Architekten am intensivsten, wenn er eine Siedlung dieser Grösse entwirft», sagte er 1966 vor den Kameras des Westschweizer Fernsehens. «Hat jemand erst einmal akzeptiert, dass er vier Nachbarn um sich haben wird, machen 15 Stockwerke über und unter ihm auch keinen Unterschied mehr», erklärt der Sohn einer grossbürgerlichen Maklerfamilie des Kantons. «Erwar bekennender Linker und fuhrMaserati», fasst Jean-Paul Jaccaud Addors Wesensart zusammen. JacDie grösste Immobilie ist mit 60 immer noch rüstig Das zentrale Gebäude der Satellitenstadt Le Lignon ist über einen Kilometer lang. Insgesamt ist Le Lignon die grösste Wohnüberbauung der Schweiz. Die Lebensqualität im Quartier, das 6500 Bewohnerinnen und Bewohner beherbergt, ist gut. Und doch: Es gibt Spannungen zwischen Alteingesessenen, Neuankömmlingen und jungen Erwachsenen. Höher, weiter, schneller, schöner? Auf der Suche nach den etwas anderen Schweizer Rekorden. Heute: Die grösste und vor allem längste Wohnüberbauung der Schweiz. e trem Schweiz 12 Reportage

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