Schweizer Revue / April 2022 / Nr.2 21 wie sehr ihnen der Organspende-Entscheid in einer tragischen Situation zusetze. Nun werde der Druck noch wachsen: «Es wird gesellschaftlich erwartet, dass man seine Liebsten zur Spende freigibt.» DieOrganspende amLebensende ist ein persönliches Thema. Die Diskussion verläuft nicht allein entlang der Parteipolitik, sondern ist auch geprägt von eigenen Werten und Erfahrungen. So ist OpponentinClauss sozialdemokratische Lokalpolitikerin in der Stadt Biel, während die SP im nationalen Parlament der Widerspruchslösung mehrheitlich zustimmte. Sind keine Angehörigen erreichbar, bleibt die Organentnahme bei unklaremWillen verboten. Zudem ist intensive Aufklärung vorgesehen, damit alle Bevölkerungsgruppen über das Widerspruchsrecht informiert sind. Wegen der Ergänzungen wird von einer erweiterten Widerspruchslösung gesprochen. Das Parlament stimmte ihr letztes Jahr mit deutlichem Mehr zu. Daraufhin zogen die Initianten ihr Volksbegehren «bedingt» zurück: der Rückzug wird wirksam, wenn der indirekte Gegenvorschlag in Kraft tritt. Doch dieser muss jetzt trotzdem vor dem Stimmvolk bestehen. Gegen die Gesetzesänderungwurde im Januar 2022 das Referendumeingereicht. Zu so etwas brauche es eine gesellschaftliche Debatte, befanden die Urheber. Nicht ohne «informierte Zustimmung» Nicht Parteien oder Verbände hatten das Referendum ergriffen, sondern Privatpersonen und Fachleute aus Gesundheitswesen, Recht und Ethik. Eine von ihnen ist Susanne Clauss als Co-Präsidentin des Referendumskomitees. Laut der Bernerin muss eine Organspende bleiben, was sie sei: eine freiwillige SpendenachvollständigerAufklärung. Ohne informierte Zustimmung – einwichtiger Grundsatz in der Medizin – dürfe es keineOrganentnahme geben: «Fehlt der eindeutige Beweis, dass der sterbendeMensch seineOrgane spenden wollte, ist eine Organentnahme ethisch unwürdig und verfassungsrechtlich fragwürdig», sagt die Pflegefachfrau und Hebamme, die ein Geburtshaus führt. Die meisten Gegnerinnen und Gegner anerkennen zwar ein öffentliches Interesse an einer ausreichenden Versorgung mit Organen. Sie bezweifeln aber, dass die Widerspruchsregelung zumZiel führt. Und der Staat greift ihnen damit zu stark in die persönliche Freiheit ein. Diese erstrecke sich auch auf den Umgang mit dem Körper nach dem Ableben, argumentieren sie. Werde Schweigen mit einem Ja zur Organspende gleichgesetzt, drohe der Schutz des Selbstbestimmungsrechts über den eigenen Körper zu erodieren. «Körperliche Unversehrtheit gewahrt» Susanne Clauss findet nicht, dass die erweiterte Widerspruchsregelung Angehörige entlaste, wie das in der Parlamentsdebatte zu hören war. Beruflich habe sie oft erlebt, Gleiches ist auf der Befürworterseite zu beobachten, etwa beimLuzerner Nationalrat Franz Grüter von der rechtsbürgerlichen SVP. Er stellt sich hinter die Gesetzesänderung, während seine Fraktion diese verwarf. «Es sind genügend Notbremsen eingebaut, damit die körperliche Unversehrtheit der Organspender gewahrt bleibt», stellt Grüter fest. Man könne imVoraus Nein sagen, wasmündigen Bürgerinnen und Bürgern zuzumuten sei. Habe jemand nichts festgelegt, könnten immer noch die Angehörigen ablehnen, wenn sie glaubten, der verstorbene Mensch wäre dagegen. Sorge um die Tochter Franz Grüters Haltung hat mit familiärer Betroffenheit zu tun. Der IT-Unternehmer ist Vater einer herzkranken Tochter. Die bald 26-Jährige hat schon sechs Operationen hinter sich. «ImMoment geht es ihr gut», erzählt Grüter, «aber gemäss Langzeitprognosen wird sie wahrscheinlich eines Tages ein Spenderherz brauchen.» Vier von fünf Spenderherzen, die in der Schweiz benötigt werden, kommen aus dem Ausland, weiss Grüter. Die tiefe Spenderate hierzulande gibt dem Vater und Politiker zu denken. Er hat sich selber als Organspender registrieren lassen und will sich auch in der Abstimmungskampagne engagieren. Neben Widerspruchs- und Zustimmungslösung gäbe es noch ein drittesModell: die Verpflichtung zur Erklärung («mandatory choice»). Die Bevölkerung würde dabei regelmässig aufgefordert, sich zur Organspende zu äussern, etwa beim Hausarztbesuch oder der Erneuerung der Identitätskarte. Die Schweizer Ethikkommission imBereichHumanmedizin empfiehlt diese Variante, Deutschland führte sie kürzlich ergänzend zur Zustimmungsregelung ein. Im Schweizer Parlament hingegen scheiterten entsprechende Anträge, unter anderemmit der Begründung, der Aufwand wäre unverhältnismässig gross. «Es sind genügend Notbremsen eingebaut.» FRANZ GRÜTR: LUZERNER NAT IONALRAT (SVP) «Der Druck auf Angehörige wird wachsen.» SUSANNE CL AUSS: CO-PRÄSIDENT IN REFERENDUMSKOMI TEE
RkJQdWJsaXNoZXIy MjYwNzMx