Knallige Farben, wohin man sieht, Klänge wie ein akustisches Pendant dazu, ewige Jugend: Hecht sind mit ihrer plakativen Ästhetik die Mundartband der Stunde. Vier Jahre nach dem erfolgreichen letzten Album «Oh Boy» haben sich die Luzerner nun auch mit ihrem neusten Werk in die Gunst eines vornehmlich jungen Publikums und an die Spitze der Schweizer Charts gespielt. Im November wird das Quintett seine aktuelle Tournee mit einem Auftritt im Zürcher Hallenstadion krönen. «Hecht for Life» ist in vielerlei Hinsicht ein buntes Werk. Bunt ist zum einen das Artwork, auf dem Hecht in farbenfrohen Kleidern an einem Strand zu sehen sind, umrahmt von einem Regenbogen und Blumen in sämtlichen Farben. Das Bild suggeriert Unbeschwertheit. Und dafür steht weitgehend auch die Musik. Der flauschige, tanzbare Breitwand-Pop mit luftigen, raumfüllenden, schwebenden Sounds ist leichtfüssig und eingehend. Er macht gute Laune, die Band selbst spricht treffend von «Euphoriesongs», aber auch von Nachdenklichkeit. Diese dringt sporadisch in den seltenen Momenten des Bedachts durch. Die Lieder handeln vom Leben, Sterben und von der Liebe, wie Frontmann Stefan Buck in Interviews gerne sagt – von nichts weniger als den Kernthemen unserer Existenz also. Wer «Hecht for Life» durchhört, stellt jedoch fest: Hier dominiert Partystimmung, verpackt in stromlinienförmige Ohrwürmer. Man mag sie oberflächlich finden, aber sie nerven nicht. Wer bereit ist, sich von der positiven Energie und der Pastellwelt von Hecht tragen zu lassen, kann für einen Moment sogar Ansätze von Glücksgefühlen empfinden. Typisches Beispiel ist die Single «Prosecco». Der Titel gibt die Atmosphäre des Albums vor, im Video singt Stefan Buck lächelnd und tänzelnd: «Me trinkt so viel Prosecco / Sie schtiigt us de Stiletto / Ah, sie isch perfetto» («Man trinkt so viel Prosecco / Sie steigt aus ihren Stilettos / Ah, sie ist perfekt»). Es gehe in dem Lied um den Spass am Leben und um Aufbruchstimmung, heisst es von Seiten der Band. Das klingt banal. Aber die Single überzeugt, denn sie wirkt in sich stimmig und authentisch. «Prosecco» ist Sommerferienmusik in Pink – und sie gaukelt einem nichts anderes vor. MARKO LEHTINEN In ihrem Roman «Die schiere Wahrheit» entwirft Ursula Hasler eine doppelte KrimiFiktion. Im Juni 1937 begegnet Friedrich Glauser seinem literarischen Idol Georges Simenon im Seebad Saint-Jean-de-Monts an der französischen Atlantikküste. Die beiden nutzen das zufällige Treffen, um sich über ihre literarischen Strategien auszutauschen. Davon angeregt, wagen sie gleich einen Versuch und entwerfen gemeinsam einen Kriminalroman. Glausers Wachtmeister Studer trifft auf Amélie Morel, die von Simenon ins Spiel gebracht wird, weil er erst vor kurzem seinen Kommissar Maigret in Pension geschickt hat. Diese erfundene Begegnung zwischen den beiden Krimiautoren entwirft ein kluges literarisches Spiel, das deren literarische Geistesverwandtschaft herausarbeitet. In ihrer Arbeit waren sich Glauser wie Simenon darin einig, dass ein guter Krimi mehr ist als ein Rätselspass, an dessen Ende die Wiederherstellung der Ordnung steht. «Wenn schon Rätsel», sagt Glauser, «dann um den Täter als Menschen zu enträtseln, ihn zu verstehen». In diesem Sinn hat Glauser schon früh in Simenon sein grosses Vorbild entdeckt. In Ursula Haslers Roman lassen sich die beiden in ein Spiel verwickeln, das ihre kriminologische Verwandtschaft bezeugen soll. Im Zentrum steht ein Mann, der von der Krankenschwester Amélie Morel am Strand tot aufgefunden wird. Unfall oder Mord? Da es sich beim Opfer um einen amerikanisch-schweizerischen Doppelbürger mit guten Beziehungen handelt, wird Wachtmeister Studer aus der Schweiz aufgeboten. Während der französische Ermittler Inspektor Picot auf Druck von oben eiligst auf Unfall plädiert, glauben sowohl Studer wie Amélie Morel an ein Verbrechen. Eigenmächtig machen sie sich auf die Suche nach der schieren Wahrheit. Für ihren Roman hat Ursula Hasler die Texte von Glauser und Simenon genau gelesen, um deren Stimmung in ihrer Fiktion aufscheinen zu lassen. Der Wettstreit zwischen den beiden Fahndern erzeugt einen amüsanten Plot, der Züge von Simenon und von Glauser trägt. Hasler erzählt ihre doppelte Fiktion im Wechsel von erfundenem Krimi und von Gesprächsszenen, in denen Glauser und Simenon angeregt über ihre literarische Strategien oder über Recht und Gerechtigkeit diskutieren. So gerät ihre fiktive Begegnung zum verspielten Kabinettstück, das sich vergnüglich liest und im Kern eine anregende Auseinandersetzung enthält, die ein Schlaglicht auf den aktuellen Krimiboom wirft und darauf, was Leserinnen und Leser von diesem Genre erwarten. BEAT MAZENAUER Eine Welt in Regenbogenfarben Die schiere Wahrheit URSULA HASLER «Die schiere Wahrheit. Glauser und Simenon schreiben einen Kriminalroman.» Limmat Verlag, 2021. 340 Seiten, 36 CHF. HECHT: «Hecht for Life». Gadget, 2022. Schweizer Revue / Juli 2022 / Nr.3 21 Gelesen Gehört
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