Seit seiner Einweihung wurde der Bunker Sonnenberg ein einziges Mal genutzt: Im Dezember 2007 fand darin eine Demonstration gegen die Schliessung eines alternativ genutzten Raums statt. Die Polizei schloss Dutzende Demonstranten in den Arrestzellen der Bunkeranlage ein. «Es war, als ob man diese Räume hätte testen wollen», sagt Zora Schelbert. Vor vier Jahren wurden in der Anlage 200 Schlafplätze für Flüchtlinge eingerichtet. Doch auch diese Nutzungsidee wurde fallengelassen. Die Angst im neutralen Land Bei Beginn des Kriegs in der Ukraine mehrten sich die Nachfragen von Leuten, die mehr über den Bunker erfahren wollten. Das ist nachvollziehbar: Menschen treffen Vorbereitungen und wollen wissen, wo sie im Ernstfall Schutz finden. Vertrauter ist dem Verein, der touristische Führungen anbietet, aber die Frage vieler ausländischer Besucherinnen und Besucher: «Woher die Angst vor einem Angriff in einem neutralen Land?» Zugleich sind viele der Gäste voller Bewunderung für die Massnahmen, die die Schweiz hier zum Schutz ihrer Bürgerinnen und Bürger ergriffen hat. Und etliche Schweizer Senioren räumen ein, das Bauwerk habe ihnen ein Gefühl der Sicherheit gegeben. Was die jungen Gäste angeht: Die enorme Grösse der Anlage vermittelt ihnen einen Eindruck davon, wie präsent die nukleare Bedrohung im Kalten Krieg war. Zora Schelbert, die dieses Jahr ihre tausendste Führung leiten wird, sieht den Schutzbunker differenziert: «Ich möchte diesen Ort nicht als lächerlich darstellen. Sein Zweck war es, Menschen zu helfen, auch wenn ich Zweifel an seinem Nutzen habe.» Unmenschliche Menschendichte Wer den Sonnenberg besucht, stellt sich unweigerlich das Leben unter Der oberste Stock beherbergt die Energieversorgung und die Belüftungsanlage mit ihren biologischen, chemischen und atomaren Filtern. Die Kaverne verfügt über Dieselmotoren und einen Treibstoffvorrat, der ausreicht, um zwei Wochen lang Strom zu produzieren. Ausserdem sind elektrische Winden senkrecht über der Autobahn installiert: Durch Schächte hätte dank ihnen Überlebensausrüstung – etwa Betten und Toiletten – in die zwei Tunnel herabgelassen werden können. Ein Drittel der Stadtbevölkerung hätte hier Schutz gefunden. In Kiew und Charkiw werden tief im Boden liegende U-Bahn-Tunnel als Schutzräume genutzt. In Luzern hätte dieser 1,5 Kilometer lange Autobahnabschnitt dem gleichen Zweck gedient. 1987 zeigte die «Übung Ameise», dass das Projekt unrealistischen Annahmen folgte. Versucht wurde, in einem der Tunnel innert einer Woche 10000 Betten aufzustellen. Die dafür vorgesehenen Wagen verkeilten sich jedoch in den Korridoren. Und noch schlimmer: Eines der Betontore, welche den Tunnel hätten verschliessen sollen, verweigerte seinen Dienst. Im Jahr 2002 wurde schliesslich entschieden, die Anlage «zurückzustufen» und für nur noch 2000 Personen auszulegen, die hier innerhalb von 24 Stunden einquartiert werden könnten. Das war das Aus für den Autobahn-Bunker. 20 000 Striche an der endlosen Tunnelwand illustrieren, für wie viele Menschen die Anlage geplant wurde. Foto Stéphane Herzog Selbst über Arrestzellen verfügt der Bunker. Eine siebenstöckige Kaverne bildet das Kernstück der Zivilschutzanlage Sonnenberg. Schweizer Revue / Juli 2022 / Nr.3 Rechts der Spielplatz für Kinder, links davon der unscheinbare Eingang in die Unterwelt des Sonnenbergs. Foto Stéphane Herzog
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