STÉPHANE HERZOG Die Wolken hängen tief über Develier, einer Ortschaft fünf Kilometer von Delémont (JU) entfernt. Noël Saucy steht in der Eingangstür. Erst ein Händedruck und ein Lächeln. Dann lädt er in sein Haus ein. Die Saucys arbeiten hier seit fünf Generationen. 2002 investierten sie in ein neues Gehöft, das 200 Meter entfernt etwas höher liegt. Wir erblicken eine 30 Meter lange und 6 Meter breite Halle von vier Metern Höhe. 2000 Hühner leben und legen hier. Nebenan prüft und reinigt Agnès Saucy, Noëls Frau, Eier, die per Förderband eintreffen. Jedes Ei wird mit Datum und einer Null versehen, dem Zeichen, dass es aus einer Produktion nach Bio-Suisse- Norm stammt. Zwischen 1600 und 1900 Stück kommen hier jeden Tag an. Verkauft werden die für 47 Rappen pro Ei an einen Grosshändler. Die Saucys gaben die konventionelle Landwirtschaft 2002 auf. Die örtliche Käserei war dabei, auf Bio umzustellen. Zwei Jahre dauerte der Übergang. Saucys hielten damals bereits 1000 Legehennen auf dem Hof und vergrösserten 2007 auf 3000, verteilt auf zwei Ställe. Ein Biohof darf höchstens 4000 Hühner halten, maximal 2000 pro Stall. In der konventionellen Haltung hingegen dürfen in einem Hühnerstall 18000 Legehennen gehalten werden – oder gar 27 000 Masthühner bis zu ihrem 28. Lebenstag. «Die Biolandwirtschaft ist anspruchsvoller. Wir sind stolz darauf, den Wechsel geschafft zu haben. Einige Dinge in Bezug auf die Natur sind uns wieder bewusst geworden», sagt Noël Saucy. Seine Erkenntnisse hindern den 57-jährigen Bauern jedoch nicht daran, sich gegen die Massentierhaltungsinitiative auszusprechen, über welche das Schweizer Stimmvolk am 25. September abstimmen werden. «Wenn alle Welt auf Bio umstellt, stechen unsere Produkte nicht mehr aus der Masse hervor», sagt er und widerspricht damit Bio Suisse. Viehfutter und die Würde des Tiers im Mittelpunkt der Diskussion In Develier leben die Hühner der Familie Saucy ihr Leben unter Bedingungen, die sich klar von jenen unterscheiden, unter denen Legehennen in der hierzulande bis 1992 erlaubten Batteriehaltung ihr Dasein fristeten. Die Tiere können sich in einer Halle frei bewegen und legen ihre Eier in lichtgeschützten Nischen. Sie picken in der Halle auf dem mit Stroh eingestreuten Boden und haben Zugang zu einem mit Holzschnitzeln bedeckten Aussenbereich. Bei schönem Wetter stolzieren sie über eine Weide und Die Initiative gegen Massentierhaltung sorgt für Debatten – selbst in der Bioszene Die von der Fondation Franz Weber und Greenpeace unterstützte Initiative gegen die Massentierhaltung will die Bio-Suisse-Kriterien zur Norm erklären. Die Idee spaltet die bäuerliche Welt; selbst einige Biobetriebe gehen auf Distanz. Ein Augenschein. kühlen sich im Schatten der Obstbäume. Die Hühner sind 11 Monate lang produktiv. Danach werden sie geschlachtet und durch 18 Wochen alte Junghennen ersetzt. Bei den Saucys muss die Weide fünf Quadratmeter Platz pro Huhn bieten. In der konventionellen Haltung ist nur die Hälfte davon vorgesehen. Hier stammt das Futter aus biologischer Landwirtschaft und der Hühnerkot wird vor Ort weiterverwendet. «Seit 20 Jahren haben wir kein einziges Kilo Dünger für unsere Felder eingekauft», bilanziert der Jurassier, auf dessen Hof auch 45 Milchkühe grasen. Deren Futter wird direkt hier auf dem Hof produziert. Was das Futter betrifft, so unterstreicht Alexandra Gavilano, Ernährungsspezialistin bei Greenpeace und Befürworterin der Initiative, die beträchtlichen Umweltauswirkungen Die Initiative fordert unter anderem, Nutztieren genügend Lebensraum zu gewähren und eine tiergerechte Haltung zu garantieren. Hier: die Hühner auf dem Biohof Saucy. Foto Stéphane Herzog Schweizer Revue / August 2022 / Nr.4 26 Politik
RkJQdWJsaXNoZXIy MjYwNzMx