Schweizer Revue 4/2022

Eigentümerschaft einen recht grossen Spielraum. Dies führt zu einer Zweiteilung der Mieterwelt: Auf dem Wohnungsmarkt sind die Mietpreise markant höher als in bestehenden Mietverhältnissen. Wer lange in derselben Wohnung bleibt, zahlt weniger als jemand, der neu eine Wohnung mietet. These Nr. 8: Mieterinnen und Mieter scheuen den Konflikt mit ihrem Vermieter Konkret dreht sich der Streit in der Schweiz um eine riesige Summe: 78 Milliarden Franken hätten die Miethaushalte in den letzten 15 Jahren zu viel an Miete bezahlt, hält eine Studie im Auftrag des MV fest. Worum es geht: Die Mieten sind rechtlich verknüpft mit den Zinsen für Hauskredite, die seit 2008 gesunken sind – doch die Mieten stiegen weiter an. Für den HEV ist dies, so seine scharfe Replik, ein «Ammenmärchen», so seien gestiegene Betriebskosten und Investitionen nicht berücksichtigt – was der MV bestreitet. Unbestreitbar ist: Viele Mietende haben darauf verzichtet, tiefere Mieten einzufordern, obwohl die Rechtslage dafür günstig ist. Warum? Laut einer Umfrage im Auftrag des MV befürchten viele Konflikte oder ein schlechteres Verhältnis zur Vermieterschaft. «Das Verhältnis ist nicht so schlecht, wie der Mieterverband es darstellt», findet dagegen Markus Meier vom HEV. Er verweist auf eine Umfrage im Auftrag des Bundes, wonach 63 Prozent der Bevölkerung «eher zufrieden» oder «sehr zufrieden» mit dem aktuellen Mietrecht Wohnung gekündigt wird.» Der Eindruck, dass deswegen der MV gegenüber dem HEV von vornherein auf verlorenem Posten stünde, wäre aber falsch. Denn auch der HEV ist bisher mit seinen Volksinitiativen gescheitert. Beide Organisationen sind aber hochgradig referendumsfähig, haben also sehr gute Chancen, ihnen missliebige Vorlagen an der Urne zu Fall zu bringen. Kurz: Ihre Blockademacht ist gross, die Gestaltungskraft gering. Zwischen ihnen besteht ein zähes Patt. These Nr. 7: Die Schweizer Mieterwelt ist stark zweigeteilt Die Miete ist in der Schweiz in vielen Belangen bis ins kleinste Detail dicht geregelt, etwa wenn es darum geht, bis zu welcher Temperatur eine Wohnung geheizt werden muss (20 Grad) oder bis zu welchem Betrag Mieterinnen und Mieter für Reparaturen selbst aufkommen müssen (bis 150 Franken). Und es gilt das Prinzip der sogenannten Kostenmiete: Mietzinserhöhungen müssen mit gestiegenen Kosten belegt werden. Doch in der Realität spielt nicht nur das Mietrecht, sondern auch der Markt eine grosse Rolle, insbesondere bei Neuvermietungen. Sehr grob vereinfacht lässt sich folgendes Fazit ziehen: In bestehenden Mietverhältnissen ist der Mieterschutz eher gut ausgebaut. So existiert zwar kein Kündigungsschutz, aber bei einer Kündigung können Mietende mit guten rechtlichen Chancen eine zeitliche Erstreckung fordern, manchmal über mehrere Jahre. Bei Neuvermietungen hingegen hat die sind. Mit den nun wieder steigenden Zinsen für Hauskredite wird das Spiel – mit umgekehrten Vorzeichen – neu beginnen. Schon bald werden die Eigentümerinnen und Eigentümer gestützt auf die Zinsentwicklung höhere Mieten fordern können. Man darf gespannt sein, ob sich die Vermieterseite im Interesse eines guten Einvernehmens ebenfalls stark zurückhalten wird. These Nr. 9: Die Gretchenfrage lautet: «Wie hast du es mit dem Mieterschutz?» Für den wirtschaftsliberalen Thinktank Avenir Suisse ist das Schweizer Mietrecht ein guter Kompromiss: «Der hiesige Mietwohnungsmarkt ist vergleichsweise massvoll reguliert. Man findet deshalb Mietwohnungen in guter Qualität.» Darin sieht Avenir Suisse den Hauptgrund für den hohen Mietanteil in der Schweiz. In anderen Ländern seien die Mietwohnungen mit «überzogenen Regulierungen aus dem Markt gedrückt» worden. Anders sieht dies Natalie Imboden vom MV: «In den urbanen Gebieten, wo die meisten Menschen wohnen, funktioniert der Mietmarkt nicht.» Hier brauche es mehr Schutz, «weil die Eigentümerschaft sonst ohne entsprechende Leistung überhöhte Einnahmen erzielt». Dem widerspricht der HEV-Direktor, der Baselbieter SVP-Landrat Markus Meier: «Auch unsere Mitglieder leiden darunter, dass in den Städten zu wenig Wohneigentum gebaut werden kann.» Ein «massloser Mieterschutz, wie ihn der MV fordert», verknappe das Angebot zusätzlich. Das literarische Schlüsselwerk zum besseren Verständnis der helvetischen Seele berührt auch das Dasein als Mieter und Mieterin: «Der Waschküchenschlüssel» (oder was, wenn Gott Schweizer wäre), das 1988 publizierte Werk von Autor Hugo Loetscher. Schweizer Revue / August 2022 / Nr.4 7

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