Schweizer Revue 6/2022

Kim de l’Horizon gewinnt Deutschen Buchpreis Eine der wichtigsten literarischen Auszeichnungen, der Deutsche Buchpreis, geht dieses Jahr in die Schweiz: Ausgezeichnet wurde Kim de l’Horizon für den Debütroman «Blutbuch». «Blutbuch» gilt somit als bester deutschsprachiger Roman des Jahres. Kim de l’Horizon versteht sich als nonbinäre Person – und auch die Hauptfigur des ausgezeichneten Werks identifiziert sich weder als Mann noch als Frau. Aus Sicht der Jury sucht die nonbinäre Erzählfigur im Roman «mit einer enormen kreativen Energie nach einer eigenen Sprache». Die Preisverleihung an der Frankfurter Buchmesse wurde auch visuell zum spektakulären Auftritt: Während der Dankesrede hat sich Kim de l’Horizon aus Solidarität mit den unterdrückten Frauen im Iran den Kopf rasiert. (MUL) Ignazio Cassis besucht Wolodimir Selenski Der Schweizer Bundespräsident und Aussenminister Ignazio Cassis ist am 20. Oktober überraschend in die Ukraine gereist. Laut eigenen Angaben wollte sich Cassis vor Ort ein eigenes Bild der Lage machen und in Kiew mit Wolodimir Selenski über den Wiederaufbau der Ukraine sprechen. Cassis: «Wir wollen auch die ukrainischen Anstrengungen für einen innovativen Wiederaufbau unterstützen.» Zur Sprache gekommen seien auch die Herausforderungen des nahenden Winters. Der Besuch Cassis erfolgte nur Stunden vor der Bombardierung zahlreicher ukrainischer Städte mit Kamikazedrohnen, einer weiteren Eskalation des Krieges. (MUL) Keine Volksabstimmung zum Kampfjet-Kauf Das Schweizer Stimmvolk wird nicht über die Beschaffung des Tarnkappenkampfjets F-35 abstimmen können: Die Initiantinnen und Initianten zogen ihre von über 100000 Bürgerinnen und Bürgern unterzeichnete Volksinitiative zurück. Man biete nicht Hand für eine Pseudoabstimmung, sagte Nationalrätin Priska Seiler Graf (SP) namens des Initiativkomitees. Tatsächlich hatten Bundesrat und Parlament Mitte September Fakten geschaffen, die einen Volksentscheid völlig obsolet machten: Trotz der hängigen Volksinitiative wurde entschieden, die Kaufverträge für 36 Kampfjets bereits zu unterzeichnen. Ein Nein an der Urne hätte das 6-Milliarden-Franken-Kaufgeschäft nicht mehr stoppen können. (MUL) Schweizer Gletscher verloren sehr viel Volumen Für die Schweizer Gletscher endet ein betrübliches Jahr: Laut Glaziologen übertraf heuer der Gletscherschwund alle bisherigen Rekordjahre. Insgesamt haben die Gletscher 3,1 Kubikkilometer Eis verloren. Das ist mehr als sechs Prozent des Gesamtvolumens aller Gletscher. Der Pizolgletscher (SG), der Vadret dal Corvatsch (GR) und der Schwarzbachfirn (UR) sind 2022 restlos verschwunden. Eine Kombination ungünstiger Faktoren begünstigte den Gletscherschwund: Wenig Schneefälle im Winter, erste Hitzewellen bereits im Mai – und ein extrem niederschlagsarmer Sommer. (MUL) Jean-Luc Godard Im Film «Ausser Atem» (1960) wendet sich Jean-Paul Belmondo plötzlich direkt zur Kamera. «Wie bitte, Sie lieben das Meer nicht? Sie machen sich aus dem Gebirge nichts? Für Städte haben Sie auch nichts übrig? ... Da kann ich nur sagen: Sie können mich ...!» Die ersten Filme des französisch-schweizerischen Filmemachers Jean-Luc Godard, der am 22. September 2022 verstarb, schockierten die Kinowelt. Knappe Dialoge, Filmen mit geschulterter Kamera bei natürlichem Licht, abgehackter Schnitt: Sein ganzes filmisches Schaffen warf Konventionen über den Haufen. Seither hat sich sein Stil wie eine Welle in der Kinowelt ausgebreitet, und zwar so sehr, dass sich sein Erbe überall findet. Umfang- und facettenreich ist seine Filmkunst, sein Schaffen umfasst rund fünfzig Filme und ein Dutzend Reportagen. Bis zu seinem Tod schuf er unermüdlich Werke mit den verschiedensten Medien: Smartphone, Video, Gemälde, Collagen. Dem Publikum war er auch wegen seiner geistreichen Sprüche ein Begriff. «Wer ins Kino geht, hebt den Kopf. Wer fernsieht, senkt ihn», bemerkte er einmal. Er liebte Tennis, wetterte aber gegen die Art, wie der Sport im Fernsehen gezeigt wird. Seine Vorstellung war eine ganz andere. «Ich würde irgendeinen Typen nehmen (…), der sich für ein Turnier qualifiziert. Er kommt nach Paris, hat fast kein Geld, wohnt in einem Hotel, Ibis oder Mercure, fährt mit der Métro, spielt sein erstes Match. Und verliert. In der nächsten Runde würde ich mich für den siegreichen Gegenspieler interessieren, dann für den Sieger dieses Spiels, was uns zwangsläufig bis ins Finale führen würde.» So war Godard, dieser Star der Grossleinwand, der die Welt mit Waadtländer Akzent kommentierte – und damit alle, die ihm zuhörten, an seine Herkunft erinnerte. STÉPHANE HERZOG Schweizer Revue / Dezember 2022 / Nr.6 8 Herausgepickt Nachrichten

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