Schweizer Revue 2/2023

terglaube traditionell dazugehört. Aber auch pfingstlich-charismatische Freikirchen in der Schweiz führen Befreiungsdienste durch. Zu einem solchen Dienst berufen sieht sich überdies ein Heilsarmee-Offizier im Kanton Zürich, er erhält viel Zulauf. Als «Ruqya» spielt die Austreibung böser Geister in manchen Richtungen des Islam eine Rolle, sie wird laut Schmid auch in der Schweiz ausgeübt. Der Experte erwähnt zudem boomende esoterische oder neoschamanische Weltbilder, in denen es böse Geister aus Wohnraum zu vertreiben gelte. Kein Monopol Nicht selten nehmen Menschen nacheinander die Dienste unterschiedlicher Anbieter in Anspruch, weiss Schmid: «Für die Wirksamkeit der exorzistischen Praxis sprechen solche ‹Karrieren› nicht.» Fest steht: Auf Geisteraustreibungen hat die katholische Kirche in der Schweiz kein Monopol, und im Bistum Chur sind sie in alter Form nicht mehr zu haben. Weiterhin über Befreiungsdienste verfügen das Bistum Lausanne, Genf, Freiburg und das Bistum Basel. In der Romandie versehen zwei vom Bischof ernannte Exorzisten den Dienst, in Basel ist der emeritierte Weihbischof Martin Gächter beauftragt. Beidenorts betont man, eng mit Psychiatern zusammenzuarbeiten. Geplagten Menschen, die an ihn gelangten, höre er in erster Linie zu und spreche dann ein Befreiungsgebet, sagt Gächter dem Nachrichtenportal «kath.ch». Einen grossen Exorzismus habe er in dreissig Jahren erst einmal durchgeführt. Für die Befreiung der Frau von den Dämonen habe es fünfzehn Sitzungen gebraucht. ins 17. Jahrhundert zurückreicht. Der Exorzist fordert dabei den Dämon auf, aus dem Körper der als besessen betrachteten Person zu weichen. Neben Gebeten kommen Hilfsmittel wie Weihwasser und Kruzifixe zum Einsatz. In der Schweiz werden, wenn überhaupt, mehr kleine als grosse Exorzismen durchgeführt. Ermächtigt dazu sind vom Bischof ernannte Priester. Christoph Casetti war im Bistum Chur der oberste Exorzist. Noch in seiner Todesanzeige ist erwähnt, dass er die Aufgabe seit 2014 offiziell innehatte, nebst anderen Ämtern. Kritische Stimmen Ein Radiosender aus Deutschland nannte Casetti einmal den «bekanntesten Teufelsaustreiber der Schweiz». Er selber verteidigte mehrmals öffentlich die katholischen Rituale gegen kritische Stimmen innerhalb und ausserhalb der Kirche. Diese warfen dem Bistum Chur vor, mit dem Exorzismus ein traditionalistisch-autoritäres Weltbild zu pflegen. Der Teufel sei immer ein Druckmittel einer schwarzen Kirchenpädagogik gewesen, sagte ein Luzerner Theologe 2017 im Schweizer Fernsehen. Psychiatrische Fachleute sahen das Risiko, dass Gläubige mit psychischen Erkrankungen bewährte Therapien nicht in Anspruch nehmen. Der Mann in Chur widersprach: Ein Priester dürfe erst einen Exorzismus in Erwägung ziehen, wenn eine Erkrankung ausgeschlossen worden sei. Auch das Etikett finsteres Mittelalter wies Casetti zurück. Exorzismen seien gegen «widergöttliche Mächte» in allen Zeiten nötig, schon Jesus habe «geheilt und befreit». Monatlich erhielt der Churer Exorzist nach eigenen Angaben Dutzende Anfragen von Menschen, die sich von einem bösen Geist besessen fühlten. Darunter nicht nur Gläubige aus dem Bistumsgebiet, sondern auch viele aus Deutschland. Experte begrüsst Verzicht Laut dem Religionsexperten Georg Schmid war das Bistum Chur ein Anziehungspunkt für Menschen aus dem deutschen Sprachraum, die einen Exorzismus suchten. Er bezeichnete das Bistum einmal als «Hotspot exorzistischer Tätigkeit». Schmid leitet die evangelische Informationsstelle Relinfo nahe Zürich, die Menschen aller Glaubensrichtungen berät. Aus Sicht von Relinfo sei der Verzicht des Bistums Chur auf einen offiziellen Exorzisten zu begrüssen, sagt er: «Wenn Menschen sich von bösen Geistern belastet fühlen und sich deswegen an die Kirche wenden, ist ihnen nach unserer Erfahrung mit seelsorgerlicher Begleitung weit besser geholfen als mit exorzistischen Ritualen.» Relinfo erhielt in den vergangenen Jahren vermehrt Anfragen zum Thema Exorzismus oder Befreiungsdienste, wie das Austreiben böser Geister auch genannt wird. Die Zunahme sei teilweise auf Migration aus Ländern zurückzuführen, in denen der GeisMit seinem Entscheid, die Stelle des Exorzisten nicht mehr zu besetzen, grenzt sich der Churer Bischof Joseph M. Bonnemain auch von seinen ausgesprochen konservativen Vorgängern ab. Foto Keystone Schweizer Revue / März 2023 / Nr.2 11

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