DÖLF BARBEN Was ist das? Wirklich gut sieht der rätselhafte Gegenstand nicht aus. Eher so, als hätte ein Kind gebastelt – ein Figürchen aus Papier mit einem dunklen Mantel und zwei winzigen Antennen. Doch der Unterschied zwischen Schein und Sein könnte kaum grösser sein. Dieses Fetzchen Papier ist eine Batterie, erfunden und entwickelt in der Schweiz, an der Empa, der eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt. Sie ist so aussergewöhnlich, dass sie es 2022 auf die alljährlich publizierte Liste mit den weltweit besten Erfindungen schaffte. Die Liste des US-Magazins Time umfasst «200 Innovationen, die unser Leben verändern», wie die Jury es formulierte. Es sind Erfindungen aus allen Lebensbereichen: Ein intelligenter Wassersprinkler und ein neuartiger Haartrockner sind dabei. Genauso wie ein Mikroskopaufsatz fürs Smartphone und das James Webb-Weltraumteleskop. Und irgendwo dazwischen in der Kategorie «Experimental»: die kleine, unscheinbare, leicht unförmige Schweizer Papierbatterie. Wie gut das Empa-Stromspeicherchen bei der Jury angekommen ist, zeigt sich daran, dass es nicht bei den Gadgets, den technischen Spielereien eingeteilt wurde. So wie die Kopfhörer, die man beim Schwimmen tragen kann, oder der Babyflaschen-Wärmer für unterwegs. Und es läuft auch nicht unter Fun Stuff, den lustigen Dingen. So wie die Indoor-Gartenanlage für Anfänger oder der Teddy, der einen umarmen kann. Das Zauberpapierchen des Holzmagiers Wie eine winzige Batterie aus der Schweiz den Weg auf die Liste der weltweit besten Erfindungen schaffte. Die Papierbatterie ist eine der wenigen Erfindungen, die von der Jury mit dem Prädikat «Durchbruch» geadelt wurde. Sie steht damit in einer Reihe mit einem Corona-Atemtest und der neuen Rakete der US-Weltraumbehörde Nasa. Ein Fetzchen Papier neben einer Weltraumrakete: Was die Grösse der kleinen Erfindung ausmacht, kommt im Titel zum Ausdruck, der auf der Time-Website über dem Foto des Batterieleins steht: Reduzieren von Elektroschrott. Das ist der springende Punkt. Das Papier, aber auch die anderen Komponenten sind biologisch abbaubar. Die Erfindung ist deshalb nicht bloss ein Durchbruch – sie gilt als ökologischer Durchbruch. Geschafft haben ihn Gustav Nyström und sein Team. Der gebürtige Schwede leitet an der Empa seit 2018 die Abteilung Cellulose & Wood Materials. In seinem Labor geht es also um den Hauptbestandteil pflanzlicher Zellwände, die Zellulose, und um Holz. Beides sind nachhaltige Biomaterialien. Schon als Doktorand befasste Nyström sich mit leitfähigen, natürlichen Stoffen. Bald einmal hatte er «erste Ideen», die in Richtung eines biologisch abbaubaren Stromspeichers wiesen. An der Empa fand er den idealen Arbeitsplatz, «denn hier dreht sich eigentlich alles um die Begriffe erneuerbar und nachhaltig», sagt er. Auf der Empa-Website findet sich ein Text über ihn, darin wird er als «Holzmagier» bezeichnet. Die Empa ist tatsächlich längst nicht mehr bloss die «Anstalt für die Prüfung von Baumaterialien», als die sie im Jahr 1880 gegründet worden war. In den letzten Jahrzehnten hat sie sich zu einer weitverzweigten Forschungseinrichtung entwickelt. Ihre Kernaufgabe sieht sie darin, Forschung zu betreiben, die einen Nutzen hat – für die Wirtschaft, aber auch für die Gesellschaft. Dabei scheint der gesellschaftliche Aspekt Höher, weiter, schneller, schöner? Auf der Suche nach den etwas anderen Schweizer Rekorden. Heute: Die Erfindung der extremsten Batterie. Was die Pinzette hier fasste, sieht aus wie eine halb geglückte Bastelei, ist aber eine der weltbesten Erfindungen des Jahres 2022. Foto Empa Schweizer Revue / März 2023 / Nr.2 14 Reportage
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