Ein weiterer Hebel wäre die Verteuerung der Zigaretten. Diese würde bei den Jugendlichen zu einem Konsumrückgang führen, meint Jean-Paul Humair: «Die Zigarettenpreise in der Schweiz sind im Vergleich zu anderen Ländern aussergewöhnlich tief.» Dies hat auch der letzte Bericht der Eidgenössischen Kommission für Fragen zu Sucht und Prävention nichtübertragbarer Krankheiten (EKSN) ergeben. In der Schweiz kostet eine Packung 9 Franken, in Irland umgerechnet 15 Franken. Aus dem Verkauf jeder Packung gehen 4.60 Franken an die AHV, 2,6 Rappen an die Tabakprävention – und ebenso viel an die Förderung des Tabakanbaus. «Die AHV-Abgabe ist ein Problem der sozialen Gerechtigkeit, denn sie erhebt Beiträge von Personen, von denen einige wegen tabakbedingter Erkrankungen nie eine AHVRente beziehen werden», sagt Camille Robert. Dieses Problem geht in der Gesetzesvorlage vergessen. Nikotin-Debatte untergräbt die Prävention Auch die Westschweizer Organisation GREA beurteilt die Mittel für Kampagnen zum Kampf gegen Tabakprodukte als zu gering. «Kampagnen haben im Allgemeinen wenig Einfluss auf die Jugendlichen. Es bringt mehr, bei Angebot und Nachfrage anzusetzen oder die Jugendlichen über die Mechanismen der Werbung aufzuklären», so Jean-Paul Humair. Hinter der Zigaretten-Debatte verbirgt sich eine weitere: diejenige über den Zugang zu Nikotin. Sie spaltet die Präventionsfachleute in zwei Lager: Die Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention Schweiz tritt für die Idee einer Schweiz «ohne Tabak und ohne Nikotin» ein, während andere Gesundheitsfachleute die E-Zigarette – mit Nikotin – als Mittel zur Risikominderung sehen. Sie betonen, dass es der Tabak sei, der über 9000 Menschen im Jahr töte, nicht das Nikotin selbst. Der Haken an der Sache: Diese widersprüchlichen Botschaften schwächen die Wirkung der Prävention. sagt er dazu. Botschaften, die den Tabakkonsum normalisieren, finden sich auch in den sozialen Medien. «Im weitesten Sinne ist die Nikotinsucht eine Kinderkrankheit, die sich über das soziale Netz ausbreitet», so der Schweizer Arzt Reto Auer, der mit Unisanté zusammenarbeitet. Aus Sicht der Präventionsverbände wäre ein vollständiges Werbeverbot das beste Mittel zum Schutz der Jugendlichen vor Tabak. So empfiehlt es denn auch die Rahmenkonvention der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Eindämmung des Tabakgebrauchs, welche die Schweiz 2004 unterzeichnete, deren Ratifizierung jedoch nicht absehbar ist. Das Reich der Tabakmultis Die Macht der Tabakindustrie in der Schweiz trägt zum Präventionsrückstand bei. Philip Morris (PMI), Japan Tobacco International und British American Tobacco Switzerland sind hier ansässig. PMI allein produziert in Neuenburg 20 Milliarden Zigaretten pro Jahr, wozu auch die kleinen Zigaretten für das Heatnot-burn-Gerät IQOS zählen. «Die Tabakindustrie hat es geschafft, sich mit den konservativsten Wirtschaftsvertretern und Parteien zu verbünden», urteilt Pascal Diethelm. Er spielt damit etwa auf die SVP an, deren Nationalrat Raymond Clottu (NE) 2016 erklärte: «Zigarettenwerbung hat nicht zum Ziel, zum Rauchen anzuregen, sie ist lediglich ein legitimes Konkurrenzmittel auf dem Markt.» Im europäischen «Tobacco Control Scale 2021» ist die Schweiz auf dem 35. Rang gelandet, also auf dem zweitletzten Platz vor Bosnien-Herzegowina. Die Schweiz erreichte 35 Punkte auf der Skala. Zum Vergleich: Irland erzielte in acht Bewertungskriterien gute Noten und brachte es auf 82 Punkte. Was das Bewertungskriterium «Werbeeinschränkungen» angeht, haben Länder wie Finnland oder Norwegen, die ein vollständiges Werbeverbot kennen, die Maximalpunktzahl (13) erreicht, die Schweiz hingegen nur deren zwei. «In einigen LänNeue Konsumformen führen zur Frage, was denn eigentlich zu verhindern sei: der Nikotinkonsum ganz allgemein – oder nur das Rauchen. Die Unklarheit schwächt die Prävention. Foto Keystone dern sind die Zigarettenpackungen neutral gestaltet oder an Verkaufsstellen sogar unsichtbar, was das Marketing untergräbt», hebt der Präsident von OxySuisse hervor. Welche Auswirkungen wird das neue Gesetz in der Präventionskategorie «Werbeeinschränkung» haben? «Die Schweiz könnte zehn Punkte erreichen, wegen der weiterhin an Erwachsene gerichteten Werbung aber nicht die Maximalpunktzahl», vermutet Jean-Paul Humair, Chefarzt des Informationszentrums zur Tabakprävention in Genf. Schwache Prävention – und weiterhin günstige Zigaretten Die Präventionsorganisationen wünschen sich ein Gesetz, das weiter geht. Sie beklagen insbesondere die Tatsache, dass die Schweiz nur eine einzige umfassende Gesundheitserhebung durchführt – und dies bloss alle fünf Jahre. Deshalb müsste die Verbreitung des Tabakkonsums und des Vapens unter Jugendlichen ständig beobachtet werden. In einer Studie, die 2020 und 2021 mit Mittelschülerinnen und -schülern durchgeführt wurde, gaben 12 Prozent der 15- bis 18-Jährigen an, täglich zu rauchen. Hinzu kamen 2 Prozent, die täglich vapen. Vergleiche nach Alter mit anderen Ländern sind kompliziert. Insgesamt rauchen jedoch 27 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer – gegenüber 15 Prozent in Australien, einem Land, das einen dezidierten Kampf gegen den Tabak führt. Schweizer Revue / März 2023 / Nr.2 23
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