Schweizer Revue 2/2023

Sammlungen auf der ganzen Welt. Heute verlangt Nigeria die Anerkennung der Bronzen als Beutekunst. Was weniger bekannt ist: Auch Schweizer Museen besitzen rund hundert Objekte, bei denen Benin als Herkunft vermutet wird. Unter der Leitung des Museums Rietberg in Zürich und mit der Unterstützung des Bundesamts für Kultur haben sich acht Museen in der «Benin Initiative Schweiz» zusammengeschlossen. Ziel ist es, Transparenz für die Forschung und den Dialog mit Nigeria zu schaffen. Dialog – ein Schlüsselbegriff im Umgang mit Kulturgütern. Bansoa Sigam, Anthropologin und Museologin in Genf, betonte im Westschweizer Radio bereits 2017, als Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Rückgabe von Kulturgütern ankündigte, dass zwischen dem Norden und dem Süden Partnerschaften auf Augenhöhe aufgebaut werden müssten. Dekolonialisierung bedeute, «ehrlich mit der eigenen Geschichte umzugehen und Lösungen zu finden». Vielleicht entsteht so auch die Dynamik für eine «gemeinsame globale Geschichtsschreibung», für die ETH-Professor Bernhard C. Schär plädiert. Seiner Ansicht nach ist es ein Fehler, die Geschichte Europas isoliert zu betrachten und zu vermitteln. Geschichte, so Schär, entstehe immer im Austausch zwischen Menschen. Rückgabe ist nicht einzige Lösung Schätzungen zufolge befinden sich heute über 90 Prozent der afrikanischen Kulturgüter aus der Kolonialzeit nicht in Afrika selbst, sondern in Europa und den USA. Sollen diese nun alle zurückgegeben werden? Joachim Sieber verneint. Rückgabe sei nicht die einzige Lösung. Kulturgüter könnten beispielsweise zurückgegeben und wieder zurückgekauft oder als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt werden; möglich sei auch die Sichtbarmachung des ursprünglichen EiKulturgüter sind fassbare Zeugnisse der Kultur und Geschichte sowie Identifikationsträger. Sie prägen das Selbstverständnis und den sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft. Deshalb zählt der Schutz des kulturellen Erbes heute zu den wichtigen Aufgaben eines Staates. gentümers am Objekt im Museum. Entscheidend ist für ihn, die Lösung gemeinsam im Austausch und in der Zusammenarbeit mit den Herkunftsgesellschaften zu finden. Gut möglich Auch die Schweiz war Opfer Nicht immer sind reiche Länder wie die Schweiz als «Täter» in Kunstraube verwickelt, sie können auch Opfer sein. Jahrhundertelang passten die Kapuzinermönche in Freiburg auf ihre wertvolle Bibliothek auf, aber offenbar nicht immer gut genug. So bemerkten die Ordensbrüder nicht, dass ihnen im Zweiten Weltkrieg das «Narrenschiff» aus dem 15. Jahr- hundert gestohlen worden war. Das aussergewöhnliche Werk aus der Frühzeit des Buchdrucks tauchte 1945 bei einem New Yorker Händler wieder auf und landete später als Schenkung bei der Washingtoner Library of Congress, eine der grössten Bibliotheken der Welt. 1975 wurden die Kapuziner erneut bestohlen: Ein Dieb, der sich als Bibliothekar aus dem Vatikan ausgab, erbeutete rund zwanzig bibliophile alte Drucke. Wie im Fall des «Narrenschiffs» geriet auch dieser erneute Diebstahl in Vergessenheit, bis Anfang der 2000er-Jahre ein Mitarbeiter der Freiburger Kantons- und Universitätsbibliothek (KUB) zwei neue, in Freiburg bisher nicht bekannte Fakten ans Licht brachte. Erstens: Die Diebesbeute aus dem Jahr 1975 wurde 1975 und 1976 an Auktionen in München verkauft. Zweitens: Das «Narrenschiff» wird in Washington lokalisiert. Ab diesem Zeitpunkt wurden von der KUB Nachforschungen angestellt, um die rund zwanzig gestohlenen Drucke zu orten und wiederzubeschaffen. Die Library of Congress in Washington gab dem Kanton Freiburg das «Narrenschiff» Ende 2022 zurück. Es wird heute in der KUB Freiburg aufbewahrt und kann von Forscherinnen und Forschern eingesehen werden. (DLA) Mehr zum Thema (in deutscher und französischer Sprache): revue.link/narrenschiff also, dass die ägyptische Regierung, um beim eingangs erwähnten Beispiel zu bleiben, die Mumie Schepenese gar nicht zurückhaben will, sondern mit dem Katholischen Konfessionsteil St. Gallens eine andere einvernehmliche Lösung findet. Bis es soweit ist, wird Schepenese weiterhin jedes Jahr rund 150000 Besucherinnen und Besucher anziehen – und allabendlich mit einem kleinen Ritual vom Personal der Stiftsbibliothek verabschiedet werden. Nachdem die Türen für die Öffentlichkeit geschlossen haben, wird ein weisses Tuch über den gläsernen Sarg gezogen, Schepeneses Name wird genannt. So wird an die Priestertochter erinnert – und Schepenese nach ägyptischer Vorstellung der Ewigkeit nähergebracht. Das «Narrenschiff» des Humanisten Sebastian Brant, das 1494 in Basel erschienen ist, ist eine bebilderte Moralsatire, in der Narren die menschlichen Laster nachstellen. Schweizer Revue / März 2023 / Nr.2 7

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