MARC LETTAU Ostern liegt für dieses Jahr hinter uns. Erfahren haben wir dabei aufs Neue die österliche Fülle und Vielfalt im Süsswarenbereich: Schokoladehase, Nougathase, Mandelsplitterhase, Goldhase & Co. beherrschten die Verkaufsregale. Nicht mümmelnd, sondern sehr süss und sehr stumm – und ungeheuer zahlreich. Allein der Schweizer Grossverteiler Migros produzierte in seinem Werk Delica in Buchs (SG) 6,8 Millionen Hasen. China mag das Jahr des Hasen kennen. Doch die Schweiz ist – oder war – das Land des Hasen. Besonders in der Deutschschweiz diktierte das Wildtier unzählige Flurnamen. Die Landschaft wird zur Hasenlandschaft: Hasenacker, Hasenberg, Hasenbühl, Hasenburg, Hasenfeld, Hasengaden, Hasenhalden, Hasenmoos, Hasenplatte, Hasensprung, Hasental, Hasenstrick, Hasenwinkel. Das ist nur eine kleine Auswahl, die deutlich macht, wie allgegenwärtig das Tier durch die Gegend hoppelte – und dabei auch ins Visier der Jäger. Der Feldhase versprach Fleisch auf den Teller. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg wurden bis zu 75000 Hasen erlegt. «Der Feldhase war vielerorts die Jagdbeute Nr. 1», sagt dazu Biologin Claudine Winter von der Abteilung Biodiversität und Landschaft des Bundesamtes für Umwelt (Bafu). Inzwischen weist die schweizweite Jagdstatistik nur noch rund 1500 Abschüsse pro Jahr aus, denn dem Feldhasen geht es schlecht – insbesondere im Schweizer Mittelland. Wie schlecht, zeigt das seit 1991 durchgeführte Schweizer Feldhasenmonitoring, für das ausgewählte Im Jahr des Hasen Schauen wir doch im heurigen chinesischen Jahr des Hasen, wie es denn dem schweizerischen Hasen geht. Der extrem kurze Befund: Dem frei lebenden Feldhasen geht es mies; seinem Abbild aus Schokolade im Verkaufsregal hingegen prächtig. Marktrivalen Coop und all die Schokoladehasen der übrigen Mitspieler auf dem Süssigkeitenmarkt. Insgesamt werden in der Schweiz laut dem Verband Chocosuisse jährlich um die 16 Millionen Osterhasen produziert – zwei Hasen für jeden und jede im Lande – und es wird an Ostern eine Süssigkeitenmenge von gegen 5000 Tonnen verzehrt. Eine uralte Tradition? Mitnichten. Vor 1950 gab es kaum Schokoladehasen, vor allem keine hohlen. Die «Hohlfigurentechnik» wollte von den Chocolatiers erst entdeckt und perfektioniert werden. Der steile Anstieg der Produktionszahlen setzte erst vor rund 50 Jahren ein, beklemmend zeitgleich mit den stark fallenden Zahlen der Feldhasenstatistik. Eine verlässliche Angabe zur schweizweiten Zahl der Hasen kann allerdings auch das erwähnte Feldhasenmonitoring nicht nennen, fokussiert es sich doch auf ausgewählte Beobachtungsgebiete. Selbst die Jagdstatistik hat nur noch beschränkte Schokoladenrealität: Das natürliche Vorbild, den Feldhasen, erblicken in der Schweiz die meisten Zeit ihres Lebens nie. Das künstliche Abbild aus Schokolade dagegen beherrscht das Bild in millionenfacher Präsenz. Foto iStock Höher, weiter, schneller, schöner? Auf der Suche nach den etwas anderen Schweizer Rekorden. Heute: Die extreme Spannung zwischen Vorbild und Abbild im Falle des Hasen Gebiete unter die Lupe genommen werden: Über die Jahre gibt es nur einen Trend: nach unten. Seit Beginn des Monitorings hat sich die Zahl der Feldhasen erneut halbiert, von einem tiefen auf ein sehr tiefes Niveau. Pro Quadratkilometer sichten die Feldforscher noch rund 2,5 Hasen. Grösser und grösser wird das Heer der Osterhasen. Zu den Millionen der Migros kommen die Millionen des Reportage Schweizer Revue / Mai 2023 / Nr.3 14
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