Schweizer Revue 3/2023

E-Voting: Nach langem Stillstand ein neuer Anlauf Im Juni starten die Kantone Basel-Stadt, St. Gallen und Thurgau mit neuen E-Voting-Tests. Verlaufen diese positiv, könnte das neue System bei den nationalen Wahlen im Herbst eingesetzt werden. EVELINE RUTZ Digital abzustimmen, wird in der Schweiz wieder möglich. Maximal 65000 Personen können am 18. Juni ihre Meinung online kundtun. Die Kantone Basel-Stadt, St. Gallen und Thurgau werden dann versuchsweise E-Voting einsetzen. Alle drei beziehen dabei die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer ein. Vom Bundesrat haben sie für einen beschränkten Testbetrieb grünes Licht erhalten. Graubünden will 2024 einen solchen starten. Mängel sind behoben worden Die Risiken seien vertretbar, sagte Bundeskanzler Walter Thurnherr im März vor den Medien. «E-Voting-Systeme lassen sich so konzipieren, dass die Hürde für Betrug so hoch wie möglich angesetzt ist und Manipulationsversuche mit hoher Wahrscheinlichkeit festgestellt werden können.» Die Post erfüllt die hohen Anforderungen an die Sicherheit. Sie hat ihr System seit 2019, als es zu einem Stillstand kam (siehe «Schweizer Revue» April 2021 und August 2022), wesentlich verbessert. Seit 2021 ist es von Hackerinnen und Hackern aus der ganzen Welt auf Mängel abgeklopft worden. Es wird laufend von unabhängigen Fachleuten überwacht und ist vollständig verifizierbar. Das heisst: Wer digital abstimmt oder wählt, kann überprüfen, ob seine Stimme korrekt registriert wurde. Der Versuchsbetrieb selbst werde dazu beitragen, dass E-Voting weiter zu verbessern, betonte Thurnherr. «Gewisse Erkenntnisse lassen sich nur gewinnen, wenn man ein System praktisch nutzt.» Die Kantone sind «sehr erfreut», dass sie E-Voting testweise wieder anbieten dürfen. Man setze dort an, wo man 2019 nach über 300 erfolgreichen Versuchen aufgehört habe, sagt Barbara Schüpbach-Guggenbühl, Staatsschreiberin des Kantons Basel-Stadt. Man komme damit einem grossen Bedürfnis – gerade von Menschen mit einer Behinderung sowie der Fünften Schweiz – entgegen: «Für sie ist der digitale Kanal besonders bedeutend, um ihr Stimmrecht effektiv ausüben zu können.» Für die Kantone sind die Tests mit intensiven Vorbereitungen und Kosten verbunden, wie Barbara Schüpbach-Guggenbühl festhält. Dieser Aufwand werde sich jedoch auszahlen, ist sie überzeugt. Um die politische Mitsprache auf dem heutigen Niveau halten zu können, müsse sich der Staat für die Zukunft fit machen: «Er muss einen Service public anbieten, der die Menschen dort abholt, wo sie sind und wo sie in Zukunft sein werden.» Codes werden weiter per Post zugestellt Die Versuche werden nicht durchgehend digital ablaufen. Die ausgewählten Personen werden ihre individuellen Sicherheitscodes – zusammen mit den üblichen Abstimmungsunterlagen – auf dem Postweg erhalten. Für Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer kann dies ein Nachteil sein: Sie erhalten die Unterlagen teilweise verzögert. Wenn sie digital abstimmen, sparen sie allerdings einen Postweg: Ihr Votum trifft nach wenigen Klicks bei der Schweizer Behörde ein. Eine E-ID könnte das Verfahren dereinst weiter vereinfachen: E-Voting könnte medienbruchfrei funktionieren, also rein elektronisch und ohne den auf dem Postweg zugestellten Code. Die Post reagiere auf den digitalen Wandel, sagt Sprecherin Silvana Grellmann. «Wir wollen das Briefgeheimnis in die virtuelle Welt übertragen.» Das Unternehmen beschäftigt in seiner IT-Abteilung über 1700 Mitarbeitende. An seinem Standort in Neuenburg hat es ein Kryptografie-Kompetenzzentrum aufgebaut, in dem zurzeit 47 Personen arbeiten. «Sicherheit ist ein Prozess, der nie abgeschlossen ist», betont Grellmann. Die Post werde «die kollektive Intelligenz der Fachwelt» weiter nutzen, um Fehler auszumerzen. Auch über Schwachstellen informiere sie transparent, damit die Bevölkerung Vertrauen in die IT-Lösung aufbauen könne. Fallen die Erfahrungen am 18. Juni positiv aus, könnten die Kantone E-Voting bei den eidgenössischen Wahlen im Herbst anbieten. Beim Bund müssten sie dafür ein entsprechendes Gesuch einreichen. Fünfte Schweiz will ihre politischen Rechte wahrnehmen Ariane Rustichelli, Direktorin der Auslandschweizer-Organisation (ASO) spricht von einem «positiven Signal für die Fünfte Schweiz». Die Bevölkerung sei zunehmend mobil. In den Stimmregistern seien jedes Jahr mehr ausgewanderte Personen registriert – aktuell sind es rund 220000. Gleichzeitig nehme die durchschnittliche Dauer der Auslandsaufenthalte ab. Umso bedeutender sei es, dass sich Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer demokratisch beteiligen könnten. «E-Voting hilft ihnen, ihre Beziehungen zum Heimatland aufrechtzuerhalten», sagt Ariane Rustichelli. Sie hofft, dass die Tests erfolgreich verlaufen. «Damit die Versuche auch in anderen Kantonen wieder aufgenommen werden.» Bundeskanzler Walter Thurnherr sagt, die Risiken des neuen E-Voting-Systems seien vertretbar. Manipulationen liessen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit erkennen. Foto Keystone Schweizer Revue / Mai 2023 / Nr.3 9 Politik

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