GERHARD LOB Das Tessin gilt als Sonnenstube der Schweiz. Tatsächlich scheint die Sonne im Südkanton besonders häufig. Allerdings gibt es mit dem Wallis einen erbitterten Kampf um die Spitzenposition als sonnenreichster Kanton. Mal liegt nämlich ein Walliser Ort vorne, mal ein Tessiner. Im langjährigen Mittel obsiegt aber das Tessin, wie eine Langzeitstatistik von Meteo Schweiz für die Jahre 1990 bis 2020 aufzeigt. In den Top-Ten-Destinationen für Sonnenschein liegen deren fünf im Tessin. Auf Platz eins kommt Cardada-Cimetta, der Hausberg Locarnos, mit einer mittleren Sonnenscheindauer von 2256 Stunden pro Jahr. Die Walliser Hauptstadt Sitten folgt mit 2192 Stunden. Cimetta auf 1670 Metern Höhe ist daher nicht zufällig ein beliebter Ausflugsberg, der von Einheimischen und Touristen besucht wird. Er lässt sich bequem auf dem Luftweg erreichen. Von Orselina (395 m) schwebt die Kabine einer Seilbahn zuerst nach Cardada (1340 m), einer Bergsiedlung bleibt. «Wir legen die Richtlinien grosszügig aus», sagt sie. Und fügt schnell hinzu: «Professionelle Bewerbungen von Museen werden aber bevorzugt behandelt.» Auch für Jacqueline Maurer ist das Projekt keineswegs problematisch. «Das Museumsteam hat ja nur Dinge ausgesondert, die schon in der Sammlung vertreten sind. Die Aktion hilft zudem, dass man sich das Museum wieder in Erinnerung ruft.» Dies scheint zu funktionieren: Die öffentliche Konsultation hat auch dazu geführt, dass neue Informationen an das Museum herangetragen wurden. So wurden einzelne Kulturgüter schlussendlich doch nicht ausgesondert. Bewerbung. Museen, Organisationen oder Einzelpersonen – auch ausserhalb der Region, sogar aus dem Ausland – können sich für ein bestimmtes Objekt bewerben. Ob UpcyclingProjekt, Kunstaktion oder Wohnungsdekoration: Bedingungen gibt es keine. Wer was erhält, wird wiederum gemeinsam entschieden; in Kürze – Mitte August – gibt es eine Abstimmung im Objektrat, in welchem die Stimmen der Bevölkerung von einer weiteren Online-Abstimmung miteinfliessen. Der ganze Prozess ist aufwändig, über ein halbes Jahr dauert die Entrümpelungsaktion. Doch Simon sieht das als gerechtfertigt, denn: «Diese Objekte sind uns anvertraut worden. Eine Sorgfaltspflicht gehört zu meiner Berufsethik.» Die anfängliche Skepsis in der Bevölkerung scheint verflogen, auch in der Museumsszene wächst das Interesse. Es kommen sogar schon Anfragen aus dem Ausland, die wissen wollen, wie das Projekt organisiert ist. Die Museumschefin ist sehr zufrieden. Dies ist bereits die zweite Runde, eine erste Entsammlungsrunde hat das Museum letztes Jahr durchgeführt, wenn auch mit nur gut hundert Gegenständen. Und für 2024 ist wieder eine Entsammlungsrunde geplant. Gemäss einer Umfrage, die das Museum bei den Abstimmenden gemacht hat, fühlen sich viele nun stärker mit dem Museum verbunden. «Genau das ist die Idee: Das Museum soll nicht in den eigenen vier Wänden bleiben. Wichtig ist, dass eine Beziehung hergestellt wird. Es geht nicht um die Objekte, sondern um die Menschen», sagt Simon. Die Langnauerin Jacqueline Maurer stimmt zu: «Ich hatte vergessen, dass wir in dieser Region so viel Spannendes haben und wir stolz sein können, Emmentalerinnen und Emmentaler zu sein.» Denn das Ziel dieser Aktion ist nicht einfach, Platz im Keller zu schaffen – sondern viel eher Platz in den Herzen der Bevölkerung. Carmen Simons Ansatz beim Entsammeln: «Die Emmentalerinnen und Emmentaler sollen mitbestimmen, was mit ihrem Kulturerbe geschieht.» Foto Eva Hirschi «Wir haben zwar die fachliche Expertise und wissen, welche Funktion ein gewisses Objekt hatte. Aber teilweise wissen wir nicht, wem es gehört hatte und wer der Besitzer war», sagt Carmen Simon. Ein ausgesonderter Arbeitsmantel etwa wurde wieder in die Sammlung zurückgenommen. «Für uns war das einfach ein zerrissener Kittel. Jetzt haben wir aber erfahren, dass er einem bekannten Radioreparateur gehört hatte, den jeder im Dorf kannte», sagt Simon. Der Objektrat wollte den Mantel behalten. Mehr als ein Museum Über den Sommer lief schliesslich die Vergabungsphase, in welcher die Zukunft der Objekte ausgehandelt wird. Doch nicht etwa durch eine Auktion oder gar Online-Shopping – es fliesst kein Geld – , sondern als aufwändige Schweizer Revue / August 2023 / Nr.4 14 Gesellschaft Reportage
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