«Das Haus ist meine einzige Klimasünde. Es ist zu gross für zwei Personen.» Rosmarie Wydler-Wälti im Garten ihres Zuhauses in Basel. Foto Keystone «Al-Jazeera» und die «New York Times» berichteten schon über sie. Am Tag nach dem Gespräch mit der «Schweizer Revue» nahm die Co-Präsidentin erneut den Zug nach Strassburg. Die KlimaSeniorinnen drückten ihre Solidarität aus, als am Menschenrechts-Gerichtshof eine weitere Klimaklage verhandelt wurde. Sie stammt von sechs Jugendlichen aus Portugal und richtet sich gegen 32 Staaten in Europa, darunter die Schweiz. Klimajugend und Klimaalter: Das Generationenübergreifende ist Rosmarie Wydler-Wälti wichtig. Sie sagt: «Gewinnen wir mit unserer Klage, nützt dies letztlich allen.» Bundesämter für Gesundheit und Umwelt: Im heissen Sommer 2022 verzeichnete die Schweiz 474 hitzebedingte Todesfälle, ausnahmslos bei über 75-Jährigen, und 60 Prozent der Verstorbenen waren Frauen. Der hitzebedingte Anteil an der gesamten Sterblichkeit lag bei den Frauen dieser Altersgruppe höher als bei den Männern. Dass sich der Verein auf Seniorinnen beschränkt, hat also auch prozesstaktische Gründe. «Wir können Betroffenheit geltend machen», so Wydler-Wälti. Die Frauen durchliefen den nationalen Instanzenzug und unterlagen dreimal: beim Umweltdepartement, beim Bundesverwaltungsgericht, beim Bundesgericht. Letzteres befand, sie seien nicht hinreichend in ihren Rechten berührt. 2020 folgte der Gang nach Strassburg: Der Verein und vier einzelne Frauen reichten beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Beschwerde gegen die Schweiz ein. Diesen März führte ein 17-köpfiges Richtergremium eine öffentliche Anhörung durch. Das Anwaltsteam der Klägerinnen und die Vertreter der Schweizer Regierung brachten ihre Argumente vor. Die offizielle Schweiz stellte sich unter anderem auf den Standpunkt, Klimaschutz sei eine komplexe Aufgabe der Politik, keine Gerichtssache. «Viel Zeit verloren» Rosmarie Wydler-Wälti sass im Gerichtssaal und dachte: «Wow!» Sie hatte den Eindruck, «dass wir erstmals richtig ernst genommen wurden». Mehr noch: Die älteren Schweizerinnen könnten einen Präzedenzfall für die Staaten des Europarats schaffen, dem die Schweiz seit 1963 angehört. Denn der Gerichtshof in Strassburg befasst sich zum ersten Mal mit einem möglichen Zusammenhang von Klimaschutz und Menschenrechten. Doch warum versuchen die Seniorinnen nicht auf demokratischem Weg im Inland, Mehrheiten zu erringen, wie dieses Jahr, als die Stimmbevölkerung ein neues Klimagesetz annahm? «Wir haben schon viel Zeit verloren», antwortet die Co-Präsidentin. Es brauche nun jeden legitimen Einsatz: bei Abstimmungen und Wahlen, an Kundgebungen, vor Gericht. Argwöhnt wurde auch schon, die «Grosis» liessen sich von Greenpeace vor den Karren spannen. Rosmarie Wydler- Wälti hält dies für ein abwertendes Altersklischee. Mit Greenpeace bestehe eine Zusammenarbeit, sagt sie, zudem finanziere die Umweltorganisation die Rechtsvertretung. Doch der KlimaSeniorinnen-Verein, in dem viele Fähigkeiten, Erfahrung und lebenslanges Engagement zusammenkommen, sei eigenständig. Solidarität mit Jungen Seitdem sie Strassburg angerufen haben, sind die KlimaSeniorinnen bekannt. In positiven Reaktionen werden sie für ihren Mut und ihre Beharrlichkeit gelobt. In negativen wird ihnen nahegelegt, doch einfach die Grosskinder zu hüten. Jemand beschied ihnen anonym per Mail, solche wie sie seien früher auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden. «Mit einer Hexe verglichen zu werden, ist für mich ein Kompliment», findet Wydler-Wälti, «das waren starke Frauen.» Das Urteil aus Strassburg wird erst 2024 erwartet. Derweil halten die KlimaSeniorinnen Vorträge, organisieren Anlässe, beantworten Medienanfragen aus aller Welt. Auch Link zum Hearing in Strassburg vom 29. März 2023: revue.link/hearing Schweizer Revue / Dezember 2023 / Nr.6 17
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