viel Spass, sagt Rohrer. Damit lasse sich «in einem hochkomplexen technischen Umfeld» theoretisches Wissen in die Praxis übertragen. Beim Rekordversuch ging es ebenfalls um Übertragung – um die Übertragung von Kraft. Die Hauptschwierigkeit besteht darin, die Kraft des Motors möglichst wirkungsvoll auf den Boden zu bringen. Ohne besondere Vorrichtungen würden die Räder durchdrehen; viel Rauch und wenig Tempo wären das Ergebnis. Der Schlüssel zum Erfolg: möglichst wenig Masse, die angestossen werden muss, kombiniert mit möglichst viel Bodenhaftung. Um die Haftung zu erhöhen, «haben wir ein komplett neues System entwickelt», sagt Rohrer. Es ist ein Saugapparat unter dem Auto, der sich ganz knapp über der Fahrbahn befindet. «Das System ist mit einem Staubsauger vergleichbar, der sich auf dem Teppich festsaugen will.» Der Apparat zwackt nur einen Bruchteil der Motorleistung ab, erzeugt aber einen Anpressdruck von ungefähr 180 Kilogramm. Dieser Druck kommt zum Gewicht von Fahrzeug und Fahrerin hinzu. Die Reibkraft der Reifen wird dadurch ungefähr verdoppelt. Der springende Punkt: Ein Saugapparat wirkt bereits auf dem ersten Meter. Bei einem Null-auf-hundertWettbewerb ist das wesentlich. Front- und Heckflügel wie bei den Formel-1Rennautos würden dagegen nichts bringen; diese erzeugen ihren Druck erst ab einem gewissen Tempo. Um aus ihrem Auto noch mehr herauszuholen, haben die Studierenden eine Traktionskontrolle eingebaut. Droht ein Rad durchzurutschen, wird die Leistung augenblicklich justiert, um es zu verhindern. «So konnten wir exakt ans Limit gehen», sagt Rohrer. Und schliesslich werden die Reifen vor dem Start aufgewärmt – so haften sie noch besser. Mit dieser technischen Meisterleistung ist es gelungen, den bisherigen Beschleunigungsrekord sehr deutlich zu unterbieten. «Wir hoffen», sagt Rohrer, «dass wir ihn nicht so schnell wieder abgeben müssen.» Von null auf hundert in 0,956 Sekunden ist beachtlich. Formel-1-Boliden, Elektro-Rennautos und starke Sportwagen benötigen deutlich über zwei Sekunden dafür. Und doch gibt es Fahrzeuge, die noch schneller sind: Die sogenannten Dragster. Mit Motoren von 10000 PS und riesigen Hinterrädern schaffen sie es in 0,6 Sekunden. Wie extrem solche Beschleunigungen sind, zeigt ein Gedankenspiel. Was wäre, wenn der «Mythen»-Flitzer nicht abbremsen müsste, sondern einfach immer weiter beschleunigen OBEN: Die temperierten Reifen werden montiert. Erkennbar ist der Saugapparat unter dem Auto. UNTEN: Der Rekord ist das Resultat von Teamwork. Fotos ETH Zürich, Alessandro Della Bella könnte? Zum Beispiel so lange, wie es dauert, um diesen Text zu lesen? Nach 150 Sekunden wäre Fahrerin Kate Maggetti bereits mit einer Geschwindigkeit von fast 16 000 Kilometern pro Stunde unterwegs und hätte die Schweiz – wäre sie in Genf gestartet – bei St. Margrethen am Bodensee gerade eben verlassen. Schweizer Revue / Dezember 2023 / Nr.6 19
RkJQdWJsaXNoZXIy MjYwNzMx