Schweizer Revue 6/2023

Begräbnisse sind traurig, erst recht, wenn niemand daran Anteil nimmt, weil ein Mensch ohne Angehörige oder Freunde verstarb. In der Stadt Zürich geschieht dies mehrfach jährlich. Die Betroffenen erhalten dann eine schlichte Bestattung im Gemeinschaftsgrab. Seit ein paar Jahren geschieht dies aber nicht mehr ganz ohne Anteilnahme. 2017 brachte die Dichterin Melanie Katz ein holländisches Projekt nach Zürich: «Das einsame Begräbnis». Namhafte Dichterinnen und Dichter begleiten einsam Verstorbene mit einem poetischen Nachruf auf ihrem letzten Gang und verabschieden sie in Würde. 37 der aus diesem Anlass entstandene Gedichte sind nun in einem Lesebuch dokumentiert, ergänzt um essayistische Texte über Einsamkeit, Tod und Bestattung. Der Dichter, schreibt Alexander Estis, reiht sich mit seiner Arbeit behutsam ein in den «Chor der Einsamkeiten». Wer einsam stirbt, hinterlässt oft «kleine schwarze Löcher», bemerkt Nathalie Schmid, welche durch Nachforschungen gefüllt werden müssen. Zu jedem der Gedichte gehört deshalb im Regelfall ein Bericht, in dem die Dichterinnen und Dichter erzählen, wie sie nach spärlichen Informationen suchten, die von den Verstorbenen Zeugnis geben. In vielen Fällen erwies sich dies als ein schwieriges Unterfangen. «Wie also durch diese Einsamkeit hindurch sprechen, ohne den Tatsachen zu widersprechen?», fragt Martin Bieri. Das von Melanie Katz herausgegebene Buch gibt darauf eine Antwort. Es umfasst ganz unterschiedliche Gedichte und Berichte, die manchmal flüchtig und «notdürftig» ausfallen. «Wir wissen wenig über dich, / eigentlich nichts» beginnt Klaus Merz seinen Beitrag. Manchmal hat sich aber dennoch jemand gefunden, der etwas zu berichten wusste, was in den Nachruf einfliessen konnte. Auf diese Weise bewahrt das «einsame Begräbnis» eine Kultur des Abschieds, setzt es ein Zeichen «gelebter Solidarität», wie die Herausgeberin schreibt. Dabei entsteht ein Effekt, der das wundervoll respektvolle Projekt besonders auszeichnet. So sehr sich viele der Erinnerungen und Recherchen auf den ersten Blick gleichen, so persönlich fällt letztlich doch jedes der Porträts aus. Von allen der oft unter prekären Umständen Verstorbenen bleibt so etwas zurück, das sie einzigartig macht. Die individuelle Vielfalt dieses Chors wirft einen Schatten auf unsere oft fürchterlich betriebsame, zugleich unachtsame Gesellschaft. «Stille und Kraft sind kein Widerspruch», klingt dem eine Zeile von Michael Fehr nach. BEAT MAZENAUER Es dauerte eine Weile, aber Nicole Bernegger hat sich als Künstlerin emanzipiert. Nicht, dass sich die Sängerin aus dem Baselbiet jahrelang verbogen und betrogen hätte. Aber nach ihrem Sieg beim viel beachteten Castingformat «The Voice of Switzerland» vor zehn Jahren und dem anschliessenden Brimborium um ihre Person musste sie einen langen Weg gehen, um wieder frei zu sein – wie sie es mit ihrer Band The Kitchenettes zuvor gewesen war. Das neue Album zeugt auf musikalische Weise von dieser Entwicklung. Die Sängerin lässt ihrer alten Liebe zum Soul der späten 60er-Jahre konsequent freien Lauf. «Back To You» ist zwar keine reine Retroplatte, sondern durchaus mit der musikalischen Gegenwart verwoben. Aber der Groove einer längst vergangenen Zeit dringt in sämtlichen neun Songs auf irgendeine Weise durch. Dazu gibt’s Elemente von Disco, Pop und Funk. Die Zeiten, in denen die mittlerweile 46-Jährige mit den Charts liebäugeln musste, sind vorbei. Entsprechend frisch und entspannt wirkt ihr viertes Werk. Ob das ruhige «Red Blue Yellow Green» oder das sinnliche «Crescent Moon», die Songs, mit Berneggers langjähriger Band eingespielt, überzeugen mit einer spürbaren Authentizität. Hier ist definitiv Nicole Bernegger am Werk – und nicht «The Voice of Switzerland». Hier lebt sie ihre Musik aus, ohne dass ihr das Label bestimmte Musiker vor die Nase setzt, ohne dass ihr ein hipper Sound auf den Leib geschneidert wird. Die dreifache Mutter hat heute in jeder Beziehung das Zepter in der Hand. Sie hat vor vier Jahren die Welt der grossen Plattenfirmen verlassen und zusammen mit ihrer Managerin Steffi Klär ein eigenes Label gegründet. Und für das neue Werk hat sie auch noch auf dem Produzentenstuhl Platz genommen – dies zum ersten Mal. Herausgekommen ist ein organischer, warmer und erdiger Sound, aufgenommen im One Drop Studio in Basel. Die Emanzipation der sympathischen Sängerin zeigt sich zu guter Letzt auch in ihrer äusseren Erscheinung. Jahrelang waren strikte Sixties-Klamotten und ein markanter, kurzer Pony ihr Markenzeichen. Nun hat sich Nicole Bernegger von diesem optischen Korsett gelöst. Es ist ein weiterer Schritt weg vom Klischee der «alten» Nicole Bernegger aus dem Fernsehen. MARKO LEHTINEN Auf dem Weg zu den Anfängen Poetische Nachrufe auf einsam Verstorbene NICOLE BERNEGGER: «Back To You», Alien Pearl Records 2023. MELANIE KATZ (HG.): «Die einsamen Begräbnisse» Limmat Verlag 216 Seiten, 32 Franken einsamesbegraebnis.ch Schweizer Revue / Dezember 2023 / Nr.6 23 Gelesen Gehört

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