Schweizer Revue 6/2023

Die katholische Kirche vertuschte über 1000 Fälle von sexuellem Missbrauch Auch in der Schweiz hat die katholische Kirche über Jahrzehnte sexuellen Missbrauch systematisch vertuscht oder bagatellisiert. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie von Historikern der Universität Zürich, in der es um problematische Grenzüberschreitungen geht, aber auch um «schwerste, systematische Missbräuche, die über Jahre hinweg andauerten». Die Studie wurde im Auftrag der Schweizer Bischofskonferenz erstellt und Mitte September veröffentlicht. Die Wissenschaftler identifizierten für den Zeitraum von 1950 bis 2022 insgesamt 1002 Fälle sexuellen Missbrauchs, 510 Beschuldigte und 921 Betroffene. Dies sei jedoch nur ein «kleiner Teil» der tatsächlichen Fälle. Es seien noch nicht alle kirchlichen Archive ausgewertet worden. Viele Mitglieder der katholischen Kirche reagierten bestürzt auf die Offenlegungen. Die Zahl der Kirchenaustritte schnellte in die Höhe. (MUL) Nach dem Angriff auf Israel erwägt der Bundesrat ein Verbot der Hamas Der Angriff der Hamas auf Israel und die Eskalation im Nahen Osten lösen auch in der Schweiz grosse Bestürzung aus. Der Bundesrat prüft derzeit, ob die Hamas als verbotene Organisation eingestuft werden kann. Für ein Verbot wäre eine Gesetzesänderung nötig. Zusätzlich lässt der Bundesrat die Geldflüsse von der Schweiz an die in der Region tätigen Organisationen überprüfen. Im Fokus stehen dabei Gelder für palästinensische Organisationen. Aussenminister Ignazio Cassis äusserte sich dabei auch zu den 20 Millionen Franken, die jährlich ans UNO-Palästinenserhilfswerk (UNWRA) gehen. Laut Cassis gebe es zur UNWRA «keine Alternative». Keine andere Organisation könnte dessen Aufgaben in der Gesundheitsversorgung und Bildung übernehmen. Derzeit leben rund 28000 Schweizer Staatsangehörige in Israel. Mindestens ein schweizerisch-israelischer Doppelbürger ist bei den kriegerischen Auseinandersetzungen getötet worden. (MUL) Swiss Olympic wirbt für dezentrale und nachhaltige Olympische Winterspiele 2030 in der Schweiz Swiss Olympic hofft auf Olympische Winterspiele in der Schweiz, sei es im Jahr 2030 oder allenfalls 2034. Sie wirbt für ihr Anliegen mit einer neuen Machbarkeitsstudie. Diese zeige, dass in der Schweiz dezentrale und in hohem Masse nachhaltig organisierte Winterspiele möglich seien. Swiss Olympic sieht darin einen Gegenentwurf zu den gigantesken Spielen der jüngeren Vergangenheit. Schweizer Olympia-Kandidaturen stolperten bislang meistens bereits an der Skepsis der Schweizerinnen und Schweizer: Sie haben etliche Kandidaturen an Volksabstimmungen «versenkt», oft in Sorge um die Folgekosten und die Belastung der Umwelt. Für 2030 will Swiss Olympic einen Weg ohne Volksverdikt wählen und glaubt, die Spiele praktisch vollständig mit privaten Mitteln finanzieren zu können. (MUL) Walter Thurnherr Er war in den letzten acht Jahren im Zentrum der Macht, ohne selber Mitglied der Schweizer Regierung zu sein: Bundeskanzler Walter Thurnherr, Stabschef des Bundesrats. Wegen des direkten Drahts in die Exekutive ist dieser Posten für die Parteien wichtig. Thurnherr gehört der Mitte-Partei an. Dass er sich nicht erneut der Wahl durch das Parlament stellt, kam überraschend. Er ist 60-jährig und allseits anerkannt. Sein Amt füllte er ganz aus, hatte trotz nur beratender Stimme Einfluss. Da sind sich Beobachterinnen und Beobachter einig. Thurnherrs Art wirkte stets umgekehrt proportional dazu, dass man eine solche Funktion auch brav verwaltend ausüben könnte. Er aber gilt als analytischer Schnelldenker, ist ein gefragter Redner mit Witz. Humor verhelfe ihm zu Distanz und erinnere ihn daran, dass es eine Welt ausserhalb des Bundeshauses gebe, sagte er einmal. Die Welt ausserhalb der Schweiz kennt er ebenfalls. Die diplomatische Laufbahn, die der Aargauer Baumeistersohn nach einem Physikstudium einschlug, führte ihn nach Moskau und New York. Beim Aussendepartement betreute er die Auslandschweizerinnen und -schweizer. Vielen von ihnen machte er als späterer Leiter der Bundeskanzlei zu langsam vorwärts mit dem E-Voting. Selber digitalaffin, entgegnete Thurnherr den Kritikern jeweils, die elektronische Stimmabgabe brauche eine Mehrheit. Und das dauere im politischen System der Schweiz. Nun tritt er freiwillig ab, die letzte Legislatur mit all den Krisen sei schwierig gewesen, sagte er vor den Medien. Was er in Zukunft machen will, liess er offen. Womöglich bleibt ihm mehr Zeit für seine Vorliebe, auf Social Media wunderliche mathematische und physikalische Phänomene zu publizieren. SUSANNE WENGER Schweizer Revue / Dezember 2023 / Nr.6 8 Herausgepickt Nachrichten

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