wie wenig die Leute die Geschichte der Juden und des Holocaust kennen», klagt der Historiker Marc Perrenoud. Krisen lassen den Antisemitismus wieder aufleben. In Lausanne hält die Verlegerin und linke Aktivistin E. G. (Name der Redaktion bekannt) verbittert fest: «Meine Tochter hat geheiratet, und ich bin sehr froh, dass sie ihren Namen geändert hat.» Sie selbst fühlt sich durch antisemitische Beiträge in sozialen Netzwerken verletzt: «Es gab sehr wenig Empathie für die Opfer des 7. Oktober.» «Antisemitismus äussert sich in vielen kleinen Stichen», meint Félix, ein Sozialwissenschaftler aus Genf, der eines Morgens im November ein Graffiti an seinem Hauseingang vorfand: ein Hakenkreuz, verbunden mit einem Davidstern. Noch am selben Tag veröffentlichte Félix einen Aufruf auf seinem Facebook-Account. «Wer immer das war: Sprechen Sie mit mir darüber, ich werde Sie in aller Menschlichkeit empfangen», hiess es in seinem Post. Er ist der einzige Jude in diesem Haus. «Ich hatte Angst um meine 15-jährige Tochter, die bei mir wohnt», sagt Felix. Seine Tochter ist keine Jüdin. «Man wirft mir meine Identität vor, obwohl ich keiner Gemeinde angehöre», meint er. Die Stadtverwaltung liess das Graffiti rasch entfernen. Nathan Alfred, der neue Rabbiner der liberalen jüdischen Gemeinde Genf, vergleicht Antisemitismus, wie auch Rassismus und Sexismus, mit einer Krankheit. «Frauenfeindlichkeit ist nicht das Problem von Frauen. Das Opfer ist nicht das Problem. Es ist Aufgabe der gesamten Gesellschaft, ein solches Problem zu lösen», sagt er. Die Gemeindemitglieder kommen mit ihren Sorgen zu ihm. Kann man eine Mesusa – ein jüdisches Kultobjekt – an der Haustür anbringen? Er selbst hat sich dafür entschieden, sie im Inneren seines Hauses zu platzieren. «Noch vor sechs Monaten hätte ich sie aussen angebracht», sagte er. «Albert, Esther, Liebmann, Ruth et les autres – Présences juives en Suisse romande». Francine Brunschwig, Marc Perrenoud, Laurence Leitenberg, Jacques Ehrenfreund, Editions Livreo-Alphil, 2023. In Zürich versammelten sich Hunderte Menschen, um ihre Solidarität mit dem Opfer des Messerangriffs vom 2. März auszudrücken. Die Kundgebung wurde von der Gruppe «Gemeinsam Einsam» organisiert, die den Dialog zwischen Menschen muslimischen und jüdischen Glaubens fördert. Foto Keystone Schweizer Revue / Mai 2024 / Nr.3 13
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