Schweizer Revue 4/2024

STEPHANE HERZOG Im Postauto, das uns von Cevio nach Campo bringt, spielt ein Junge auf seinem Smartphone. In Niva, einem kleinen Tessiner Dorf im Rovanatal, steigt er aus. Er ist das einzige schulpflichtige Kind der Gemeinde Campo, die ganz am Ende des Maggiatals nördlich von Locarno liegt. «Ich wäre gerne bereit, einen Schulbus zu finanzieren, wenn ich damit dazu beitragen könnte, dass 20 Kinder hier leben», sagt Mauro Gobbi, der Gemeindepräsident. Er zählt gerade die ständigen Einwohnerinnen und Einwohner der vier Dörfer, aus denen die Gemeinde besteht. Heute sind es lediglich noch 35, während es in den 1950er-Jahren rund 250 und zu Beginn des 20. Jahrhunderts sogar 1000 waren. Campo weist mit 90,3 Prozent den höchsten Anteil an Zweitwohnungen in der Schweiz auf. Von den 312 Häusern werden heute nur rund 30 ganzjährig bewohnt. Wie andere Tessiner Hochtäler hat auch das Rovanatal zwischen 1860 und 1980 drei Viertel seiner Bevölkerung verloren. Der Bus hält im auf 1300 Meter über Meer gelegenen Dorf Campo. Imposante, mit Fresken geschmückte «Palazzi» zeichnen sich im Nebel ab. In diesen Gebäuden wohnten früher reiche Familien, manchmal ohne die Männer, die ab dem Ende des 17. Jahrhunderts als Kaufleute in Italien und Deutschland zu Wohlstand kamen. Einer von ihnen war Gaspare PedCampo – einst blühend, doch heute ein Geisterdorf Das Dorf Campo im Tessin brachte ab 1670 reiche Kaufleute hervor, die in Italien und Deutschland tätig waren. In den 1960er-Jahren zogen die verbliebenen Familien in die Ebene hinunter. Heute sind weniger als ein Zehntel der Häuser in Campo das ganze Jahr über bewohnt. Eine Reportage. razzini (1643 – 1724), der in Kassel (D) ein Kolonialwarengeschäft führte. In Campo, wo es auch zwei Kapellen und einen eleganten Kreuzweg gibt, wurden damals sogar französische Gärten angelegt. Die reichen Herren ritten stolz auf ihren Pferden durch den Ort. Heute sehen wir hier alte Scheunen, die als Zweitwohnsitze dienen. Die Stimmung ist unwirklich, denn wir begegnen keiner Menschenseele. Dann stossen wir auf das Gasthaus «Fior di Campo», ein kleines Hotel für gehobene Ansprüche mit Balkonen, die den Blick auf das Rovanatal freigeben. Vincenzo Pedrazzini, der Wirt, macht auf die offene Aussicht aufmerkHöher, weiter, schneller, schöner? Auf der Suche nach den etwas anderen Schweizer Rekorden. Heute: Besuch in der Gemeinde mit dem grössten Anteil an Zweitwohnungen in der Schweiz. © Swisstopo Schweizer Revue / Juli 2024 / Nr.4 26 Reportage

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