Schweizer Revue 4/2024

sam. In der Ferne ist eine Gruppe von Hirschen zu entdecken, die gemächlich vorbeiziehen. Vincenzo hat das Gebäude vor zwölf Jahren gekauft, um es umzubauen. Sein Ziel? Er wollte diese Ecke des Tessins, aus der seine Familie stammt, wiederbeleben. In Campo, ja im ganzen Tessin, steht der Nachname Pedrazzini für Erfolg und Wohlstand. «Manche betrachten mich als einflussreichen ‹Herrn›, doch in Wahrheit bin ich einfach ein Kind aus Campo», erzählt der Wirt, der früher in Zürich eine Anwaltskanzlei leitete und Vizepräsident der FDP Schweiz war. Die «Palazzi» des Dorfes gehören grösstenteils der Familie Pedrazzini, deren Namen auch auf vielen Grabsteinen des Friedhofs von Campo eingemeisselt sind. Der Erfolg der Familie beruhe darauf, dass ein Teil der Einwohnenden von Campo grossen Wert auf die Bildung ihrer Kinder legte, sagt Vincenzo. Die meisten reichen Tessiner Kaufleute, die während der Napoleonischen Kriege in ihre Heimat zurückgekehrt waren, wanderten später für immer nach Amerika oder Australien aus. Nebst ihnen folgten Zehntausende von Tessinerinnen und Tessinern, meist von Armut geplagt, dem Ruf der Ferne. Im Sommer lebt Campo auf Als Kind half Vincenzo Pedrazzini beim Heuen und beim Kühemelken: «Zwar waren wir reich, aber auch die anderen Einheimischen waren nicht arm.» Ab 2012 kaufte, renovierte und verkaufte er etwa zehn Häuser. Er hoffte damit, zumindest ein paar Menschen ins Dorf zu bringen. Jeden Sommer ziehen heute in der Tat Dutzende Tessiner Familien nach Campo. Eine willkommene Belebung des Dorfes! Etliche Frauen bleiben mit den Kindern von Juni bis August im Dorf, während die Männer zwischen ihren Arbeitsplätzen und Campo hin und her pendeln. «Wir haben hier keine ungenutzten Betten», sagt Vincenzo und kritisiert damit das vom Umweltschützer Franz Weber initiierte Gesetz, das den Anteil der Zweitwohnungen auf 20 Prozent begrenzt. Marco und seine Frau Olga haben sich nur einen Steinwurf vom Gasthaus «Fior di Campo» entfernt niedergelassen. Sie kennen das Gasthaus sehr gut: Sie war dort Geschäftsführerin, er war der Koch. Marco sammelt alte Gegenstände aus dem Dorf. Im benachbarten Lagerhaus zeigt er uns ein Möbelstück aus dem Jahr 1770. An der Wand entdecken wir hinter Glas in zwei Bilderrahmen zahlreiche Fotos ehemaliger Einwohnerinnen und Einwohner, die Campo Anfang des 20. Jahrhunderts den An einem Regentag allein auf dem Heimweg: der einzige Schüler aus Campo (links aussen). Die historische Postkartenansicht von Campo – und gleich daneben ein sorgsam renoviertes Gebäude, das heute als Zweitwohnsitz dient. «Da vendere», also «zu verkaufen»: ein in Campo gängiges Plakat (links). Kapelle in Campo: Das Wappen der Familie Pedrazzini prangt über dem Portal (Mitte). Das Haus, das einst den Angestellten des örtlichen Dorfgasthofs als Unterkunft diente (rechts). Fotos Stéphane Herzog Schweizer Revue / Juli 2024 / Nr.4 27

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