Rücken kehrten, um sich in den USA niederzulassen. Olga, die in der Gegend aufgewachsen war, denkt an ihr Leben im Dorf als 20-Jährige zurück. Damals, in den frühen 1960er-Jahren, gab es in Campo noch eine Schule und die ansässigen Familien hielten Kühe. Unterdessen sind die Bauersleute längst verstorben und die Kinder sind zur Ausbildung weggezogen und haben geheiratet. Olga: «Ich habe Campo beim Sterben zugesehen. Die Türen gingen für immer zu. Nur im Sommer werden sie noch gelegentlich geöffnet.» «Ziehen Sie hierher!» Während Olga für das Tal keine Zukunft sieht, unternimmt Gemeindepräsident Mauro Gobbi vieles, um das Dorf neu zu beleben – und zu sichern. Er erzählt uns auch von der «Frana», einem Erdrutsch, der Campo zu verschlingen drohte. In den 1980er- und 1990er-Jahren waren deswegen aufwendige Arbeiten zur Stabilisierung des Bodens erforderlich. Jetzt stehen Investitionen an: Die Gemeinde hat beschlossen, die lokalen Steuern zu senken und Häuser zu renovieren, darunter auch die Schule im oberhalb von Campo gelegenen Cimalmotto. Dort werden nun drei Wohnungen als Zweitwohnsitz vermietet. Zwar haben diese Massnahmen Rentnerinnen und Rentner angezogen, nicht aber Familien. In Niva, wo Mauro Gobbi lebt, setzen die Bürger auf die Renovation der alten, 1967 geschlossenen Schule. Darin hätten zwei Wohnungen Platz, in denen man auch im Winter leben könnte, so Gobbis Hoffnung, der ebenfalls über die «Lex Weber» wettert. Das Gesetz hat Renovationen deutlich komplizierter gemacht. Gemeinderpäsident Mauro Gobbi hat unlängst einen weiteren Aufruf gestartet, um mehr Menschen zu motivieren, sich auf dem Berg niederzulassen. Sein Schlüsselargument zur politisch heiklen Problematik der vielen Zweitwohnungen: Schliesslich ist es jederzeit möglich, eine Zweitwohnung in einen ständigen Wohnsitz umzuwandeln. Das wilde Leben der Familie Senn Leben bei den Wölfen vor einer Kulisse, die an «Der Herr der Ringe» erinnert: Dieses Abenteuer lockte Ende der 1980er-Jahre die Familie Senn mit ihren sechs Kindern in die Region. Die aus dem Kanton Zürich stammenden Hippies nahmen zuerst ein Grundstück in Munt la Reita in Beschlag. Heute ist aus der abgelegenen Weide, auf der damals drei kleine Ställe standen, ein Bio-Bauernhof geworden, auf dem unter anderem Käse und Fleisch produziert werden. Auf dem Hof übernachten auch Wandernde, Schulkinder und freiwillige Arbeitskräfte. Gäste haben die Möglichkeit, in einer Jurte, in Zelten oder in kleinen Holzhütten zu schlafen. Nachts sorgt der Fluss Rovana für süsse Träume. Tagsüber kann man beim Sammeln von Kräutern helfen oder zur Alp Magnello aufsteigen. Königin des Ortes ist eindeutig Verena. Bevor sie ihre Leidenschaft für die Landwirtschaft entdeckte, war sie als Bibliothekarin tätig. Markus, der 2022 verstorben ist, arbeitete als Schriftsetzer. Er hat hier alles selbst und mit Hilfe des Freundeskreises und der Familie aufgebaut. Die Pioniere verwirklichten ihren Traum: «Wir wollten das Land ökologisch bewirtschaften und unseren Kindern das wahre Leben zeigen», sagt Verena Senn. Zuerst sorgte ihr Zuzug für Spott. Anfangs wohnten die Senns im Gemeindehaus der Kirche von Campo. Samuel Senn, der mit seinen Brüdern Eli und Luca und seiner Schwester Gabriela oben auf dem Berg blieb, lacht: «Es war wirklich kalt, aber wir sind schliesslich keine Weicheier.» (SH) Gemeindepräsident Mauro Gobbi (oben links) hofft auf den Aufbruch; vom Dorf, das sie sterben sah, spricht Olga (rechts); Vincenzo Pedrazzini (unten) wiederum glaubt an die Kraft von Investitionen. Fotos Stéphane Herzog Samuel Senn Verena Senn Schweizer Revue / Juli 2024 / Nr.4 28 Reportage
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