Schweizer Revue 4/2024

Es ist eine dieser seltenen Platten, die einen sofort anspringen – allerdings auf eine unaufdringlich sanfte Art. Man steht im Plattenladen, im Hintergrund läuft Musik. Meistens stöbert man unbeirrt weiter, doch dieses Mal ist es anders. Diese fragile Frauenstimme, die Verletzlichkeit und Trauer ausstrahlt. Diese wundervolle Musik voller Raum und Wärme. Wer ist das? Die Verkäuferin im Laden in der Altstadt von Baden sagt: «Soft Loft, eine Band aus dem Aargau». Kaum zu glauben. Die Band klingt, als käme sie aus Tucson, Arizona, oder aus New York, vielleicht auch irgendwo aus Irland – jedenfalls nicht aus Brugg. Doch dort hat sie die Sängerin Jorina Stamm vor sieben Jahren mit ihrer Schulfreundin Sarina Schmid gegründet. Die Formation hiess zunächst Ellas. Unterdessen sind drei Musiker dazugekommen: Lukas Kuprecht an den Drums, Simon Boss an der Gitarre und Marius Meier am Bass. «The Party And The Mess» ist das Debütalbum. Die unverblümte Schönheit dieses Erstlingswerks hat etwas Magisches. Die intimen Lieder wirken melancholisch, bestechen aber auch durch Leichtigkeit. Sie schweben zwischen Indiepop, Folk und Singer/Songwriter. Und trotz schwermütiger Grundstimmung dringt stets ein unterschwelliger Optimismus durch. Ein Song des Albums heisst «Joni» und verweist auf Jorina Stamms Vorbild Joni Mitchell – womit eigentlich alles schon gesagt ist. Die Texte erzählen von der Sehnsucht nach Verständnis und Fürsorge. Sie berühren und sind unerbittlich ehrlich. Es geht um die depressiven Phasen im Leben, um Schmerz und Abschied. Das Album lässt Gefühle zu und hilft dabei aus der Sackgasse – wie in den Liedern «Open House» und «Safe Space». Glasklare Gitarren und warme Synthesizer tragen den Sound, der produziert worden ist vom US-Amerikaner Gianluca Buccellati. Er hat schon mit Lana Del Rey gearbeitet und war für den Grammy nominiert. Gemeinsam schrieben die Band und ihr Produzent Songskizzen, im Februar 2022 flog Buccellati für eine Aufnahmesession in die Schweiz. In einem Haus in Engelberg arbeiteten Soft Loft mit ihrem Mentor zwei Wochen lang an der Musik, aus über 30 Ideen wurden am Ende zwölf Songs, die nun auf dem Album erschienen sind. Nachdem die Schweiz bereits hellhörig geworden ist, geht es in einem nächsten Schritt darum, auf den Bühnen des Auslands Fuss zu fassen. Und die Zeichen dafür stehen gut. Soft Loft sind eine echte Versprechung, das neue Album ist eine echte Perle. So dürfte «The Party And The Mess» schon bald nicht nur in der Altstadt von Baden, sondern ebenso in den Plattenläden der grossen Metropolen laufen. MARKO LEHTINEN «Peter und so weiter» ist ein wunderliches Buch, das sowohl in der deutschen Übersetzung wie auch im französischen Original «Peter und so weiter» heisst. Der in Genf geborene und in Bern lebende Alexandre Lecoultre erzählt darin von einem liebenswerten Sonderling, der durch das Dorf bummelt, manchmal im Laden aushilft und in der Beiz, wenn er ins Plaudern gerät, mit einem «und so weiter» unterbrochen wird. Für die einen ist er Peter, für die andern Pietro, Monsieur l’auteur nennt ihn «Peterli, du Fröschli». Alle kennen ihn, und Peter weiss genau, was im Dorf vor sich geht, aber so richtig gehört er nicht dazu. «Seit einiger Zeit will man, dass er jemand wird, aber der Peter weiss nicht wer.» Ständig läuft er «möglichst viel Strassen» in allen Richtungen ab, um keine zu verpassen. Die Brache ist dabei sein liebstes Ziel. Hier herrscht eine wirre Wildnis, die Peter gefällt, weil die Brache wie er nicht recht in die geschniegelte Welt passt. Man müsste «öppis ou quelque chose» draus machen, sagen die andern. Alexandre Lecoultres Roman, der 2021 mit einem Schweizer Literaturpreis ausgezeichnet wurde, verfolgt mit Empathie und Sprachwitz diesen Bummler auf seinen Wegen durchs Dorf, das auch Agglomeration ist und Stadt und streng genommen Zürich heisst. Diese Unschärfe ist typisch für das ruhige Buch. Das räumliche Dazwischen bildet der Autor auch sprachlich ab. «Peter und so weiter» oszilliert zwischen den unterschiedlichen Redeweisen. Mundartliche Wendungen wie «öppis» und «momoll» erzeugen im französischen Original einen Effekt der Überraschung, dem in der deutschen Ausgabe französische Überbleibsel und dialektale Wendungen antworten. Hin und wieder verknotet sich Peters Zunge vollends, dann geraten «glauche, roichts, lechts, rinks, drechts» wirr durcheinander. Übersetzerin Ruth Gantert gelang es, diese Vielsprachigkeit spielerisch, lebhaft einzufangen. In der Sprache liegt angesichts all der Aufgeregtheit etwas Vertrautes. Und sie schärft Peters Aufmerksamkeit für die kleinen Dinge am Rand des Wegs, während die grossen Fragen nur wie ein fernes Echo in seine Welt hineinrufen. Im Absichtslosen liegt die Qualität dieses stimmigen, behutsamen Buchs. Peter widerstrebt das reibungslose Funktionieren im Arbeitsalltag. Die Brache steht dafür – doch genau hier werden bald die Bagger und Kräne auffahren. Das «Dorf» hat keinen Platz weder für Unordnung und Ödland noch für Beschaulichkeit. Lecoultres «heiterer Tscholi» hält uns diesen Missstand vor. BEAT MAZENAUER Lieder von Trauer, Sehnsucht und Wärme Quelque chose, momoll SOFT LOFT: «The Party And The Mess» (Soft Loft, 2024) ALEXANDRE LECOULTRE: «Peter und so weiter» Der gesunde Menschenversand, Luzern, 2024. 27.00 CHF Schweizer Revue / Juli 2024 / Nr.4 29 Gelesen Gehört

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