Schweizer Revue 5/2024

Heute steht Geschichte an – und wir gehen ins Jahr 1815. Europa blickt auf wilde Jahre zurück: Napoleon hatte versucht, die Karte Europas gründlich neu zu zeichnen. Seine Truppen überrannten auch die Schweiz und krempelten dabei vieles um. Doch Napoleon scheiterte. Am Wiener Kongress zogen 1815 die siegreichen Mächte ihrerseits viele Grenzen neu. Ein Gebiet wurde der Schweiz – genauer dem Kanton Bern – zugeschlagen: der Jura. Viele Menschen im Jura verstanden sich zwar bald als Teil der Schweiz, aber nicht als Teil Berns – aus sprachlichen, religiösen und kulturellen Gründen. Bern trug viel dazu bei, denn etliche bernische Politiker geringschätzten das neue Anhängsel im Norden. Sie nannten den Jura abschätzig den «elenden Dachboden». Für anderthalb Jahrhunderte wurde der «Jurakonflikt» zum Dauerzustand. Das gegenseitige Unverständnis nahm zu statt ab; und in den 1960er-Jahren stieg die Bereitschaft zur Gewalt. Zeitweilen drohte die bürgerkriegsähnliche Eskalation. Das grosse Glück: Es kam anders, der Konflikt gilt als überwunden. Die grosse Weichenstellung erfolgte 1974, also vor genau 50 Jahren: Drei bernische Bezirke beschlossen damals, sich vom Kanton Bern abzuspalten und einen eigenen Kanton zu bilden. Nur fünf Jahre später wurde der jüngste Kanton der Schweiz zur Realität. Niemand stellt seine Existenzberechtigung noch in Frage; der Jura ist Teil der föderalistischen Vielfalt des Landes (siehe Schwerpunkt ab Seite 4). Das ist nicht allein das Verdienst beharrlicher Jurassierinnen und Jurassier. Entscheidend war auch, dass ausserhalb des Jura ein Lösungswille erstarkte, ein «Jurakonsens» wachsen konnte. Wie gründlich das glückte, zeigte sich 1978. Damals hiess das Schweizer Stimmvolk an der Urne den neuen Kanton mit 82 Prozent Ja gut. Selbst im Kanton Bern, dem ein Stück abgezwackt wurde, lag die Zustimmung bei fast 70 Prozent. Heutzutage fallen vor allem an Wochenenden und zur Ferienzeit regelmässig viele Bernerinnen und Berner in den Jura ein. Aber sie tun es nicht, um Gebiete zurückzuerobern, sondern – weil sie den Jura mögen. Für sie ist es kein Dachboden, sondern Ort fürs Durchatmen: Wälder und Weite, steile Felsen, tiefe Schluchten, beherzte Menschen und ein Hauch von rebellischer Freiheit. – Den heutigen Jura «erfahren»: Das hat auch die «Revue» getan, und zwar per Velo. MARC LETTAU, CHEFREDAKTOR 4 Schwerpunkt Jura libre! – Vor 50 Jahren wurde das Fundament für den Kanton Jura gelegt 9 Nachrichten Enorme finanzielle Sorgen: Der Bund setzt auf einen rigorosen Sparkurs 10 50 Jahre «Schweizer Revue» Die «Revue» wird 50 – und dazu hat nun die Leserschaft das Wort 12 Politik Alain Berset poliert jetzt die Beziehung der Schweiz zu Europa auf neuen Glanz Milliarden für Autobahnen-Ausbau? Darüber stimmt das Volk ab 16 Reportage Ganz Ohr für die grösste Glocke der Schweiz, die im Berner Münster hängt Nachrichten aus Ihrer Region 19 Schweizer Zahlen Nein, es ist keine Geburtstagsfeier! Nachhilfeunterricht zum 1. August 20 Porträt Thomas Widmer wandert und wandert – und fasst dies wundervoll in Worte 22 Natur und Umwelt Untereinander vernetzte Elektroautos könnten zum Stromspeicher werden 28 Aus dem Bundeshaus Die Geburtsstätte des konsularischen Netzes der Schweiz liegt in Bordeaux 30 SwissCommunity Die Wahl des Auslandschweizerrats per Mausklick rückt einen Schritt näher Die Erfahrung des Jura Titelbild: Jura-Wappen oberhalb der Stadt Moutier, die 2026 zum Kanton Jura wechseln wird. Foto Keystone Herausgeberin der «Schweizer Revue», des Informationsmagazins für die Fünfte Schweiz, ist die Auslandschweizer-Organisation. Schweizer Revue / Oktober 2024 / Nr.5 3 Editorial Inhalt Cartoon Max Spring

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