Schweizer Revue 5/2024

5 7500 Einwohnerinnen und Einwohner vergrössern. Vielleicht ist das der Endpunkt der epischen Auseinandersetzung um die Jurafrage. Die Gründung des Kantons Jura verdeutliche, «welche Kraft die Demokratie haben kann», sagte Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider, die im jurassischen Ort Les Breuleux unweit von Le Noirmont wohnt, in einem Interview zum 50-Jahr-Jubiläum: «Die Freiheit der Völker, die Freiheit, selber Entscheidungen zu treffen – das ist etwas, was den Jura und seine Bewohnerinnen und Bewohner sehr beschäftigt.» Wenn man sich – im Gegenwind natürlich – mit dem Velo auf einsamen Wegen, die ab und zu an einem einsamen Gehöft vorbeiführen, über die Freiberge Richtung Saignelégier kämpft, wird klar: Die bundesrätliche Kurzdefinition des jurassischen Selbstverständnisses bildet sich nicht nur in der Politik, sondern auch in der Landschaft ab. In der der Freiheit Stimmberechtigten in den sieben jurassischen Bezirken hatte sich eben für die Trennung vom Kanton Bern ausgesprochen. Damit korrigierten sie ein Verdikt aus dem Jahr 1815: Nach dem Sieg über Napoleon und dem Wiener Kongress schlugen die europäischen Grossmächte den Jura, der zuvor zum Erzbistum Basel gehört hatte, dem Kanton Bern zu. Bern wurde mit dem Randgebiet des Jura dafür entschädigt, dass es seine Besitztümer im Aargau und in der Waadt hergeben musste. Konflikte, Konflikte, Diskriminierung und Autonomiebestrebungen waren programmiert, weil sich der kleine, katholische, französischsprachige Jura als Minderheit im grossen, protestantischen, deutschsprachigen Kanton Bern wiederfand. Politologen urteilen rückblickend, um den Jura hätte es vor dem historischen Urnengang von 1974 auf der Friedensinsel Schweiz sogar zu einem Bürgerkrieg kommen können. Das ist keine Übertreibung: Die Separatistenorganisation Rassemblement jurassien und ihre Jugendabteilung, die Béliers, orchestrierten den Widerstand gegen Bern ab den 1960er-Jahren so virtuos und furios, dass zu einer Eskalation oft nur wenig fehlte. Mal zündeten Jurassier auf dem Bundesplatz öffentlichkeitswirksam Hunderte Exemplare des Zivilverteidigungsbuches an oder stürmten den Nationalratssaal, dann verübten radikale Splittergruppen Brandanschläge. Trotzdem kam es aber im Juni 1974 zu einem friedlichen demokratischen Grundsatzentscheid zu Gunsten der jurassischen Selbstbestimmung. Doch ausgerechnet dieser riss neue Wunden auf. Denn nur die nördlichen drei Bezirke – Freiberge, Pruntrut, Delsberg – wollten einen neuen Kanton gründen. Die südjurassischen Bezirke blieben dem Kanton Bern treu. Kraft der Demokratie Als der neue Kanton 1979 entstand und Teil der Eidgenossenschaft wurde, war der Jura schmerzhaft zweigeteilt. Die Konfliktlinien in den Köpfen und Herzen der jurassischen Bevölkerung blieben unversöhnlich oder verhärteten sich sogar. Es kam zu Anschlägen und Provokationen – etwa dem dreisten Raub des legendären, 83,5 Kilo schweren Unspunnensteins im Berner Oberland, ein Stein, der traditionsverwurzelten Steinstössern als Sportgerät diente. Per Anfang 2026 wird der Bezirk Moutier nun doch auch noch von Bern zum Jura wechseln – und diesen um Krieg der Symbole: 2001 präsentierte Schauspielerin Shawne Fielding den wieder aufgetauchten Unspunnenstein. Separatisten hatten den Brocken 1984 gestohlen, versteckt und mit politischen Botschaften versehen. Foto Keystone Der Widerstand der jurassischen Separatisten gegen den Kanton Bern war laut und heftig. Im Bild: 1972 demonstrierten die «Béliers» in Bern für einen unabhängigen Kanton Jura. Foto Keystone Schweizer Revue / Oktober 2024 / Nr.5

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