Schweizer Revue 6/2024

THEODORA PETER Felder und Wiesen, soweit das Auge reicht. An wolkenlosen Tagen sind am fernen Horizont die Pyrenäen zu erkennen. Hier, in der Gascogne, tausend Kilometer von der Schweiz entfernt, bauten das Bauernpaar Stephanie und Ruedi Baumann auf einem abgelegenen Hof ein ökologisches Paradies auf. Den Biohof im bernischen Suberg hatten sie bereits Anfang der Nullerjahre dem jüngeren Sohn Kilian übergeben. Er führt als Kleinbauer und als Nationalrat der Grünen auch die politischen Kämpfe seiner Eltern weiter. Stephanie und Ruedi Baumann gehörten in den 1990er-Jahren zur nationalen Politprominenz – als erstes Ehepaar im Bundesparlament: sie als Sozialdemokratin, die sich für soziale Gerechtigkeit engagierte; er als pointierter Grüner, der sich mit der mächtigen Landwirtschaftslobby anlegte. Einen anderen Weg schlug der ältere Sohn Simon ein. Viel mehr als Landwirtschaft und Politik interessierte ihn Musik und Kunst: «Im Filmemachen entdeckte ich die Möglichkeit, auf Distanz zu gehen und meinen Eltern doch nahe zu bleiben.» Die Idee, einen Film zum Thema Erben zu drehen, trägt der heute 45-Jährige mit sich herum, seit er vor neun Jahren selber Vater wurde. «Meine Partnerin und ich stellten uns die Frage, welche Werte und Lebenseinstellungen wir unseren eigenen Kindern weitergeben werden», erklärt der Regisseur im Gespräch mit der «Revue». Die Filmidee schlummerte weiter, bis Baumanns Eltern – heute 73 und 77 Jahre alt – mit den Söhnen über die Zukunft des Betriebs in Frankreich sprechen wollten. «Ich sagte: Okay, lasst uns reden, aber ich mache einen Film darüber.» Simon Baumann packte Kamera- und Tonausrüstung ein und fuhr mehrmals Richtung Süden, um seine Eltern in ihrem Alltag und bei der Arbeit in Haus und Hof filmisch zu begleiten. Immer wieder kontrastiert er deren Wahrnehmung mit seiner eigenen Perspektive. Während die Kamera über die Ländereien schweift, kommentiert der Autor aus dem Off: «Ich sehe Ackerland, Einsamkeit, Langeweile. «Wir müssen reden»: Über den Zwiespalt des Erbens Nach einer Politkarriere in der Schweiz wanderten Stephanie und Ruedi Baumann vor über 20 Jahren nach Frankreich aus, wo sie ihre Ideale einer naturnahen Landwirtschaft verwirklichten. Nun sollen ihre Söhne das Lebenswerk weiterführen. Doch wollen die das überhaupt? Im Dokumentarfilm «Wir Erben» thematisiert Sohn und Regisseur Simon Baumann den Zwiespalt als Verwalter von Hinterlassenschaften. Meine Eltern sehen Artenvielfalt, ökologisch wertvolle Hecken, pestizidfreie Böden.» «Wir Erben» ist ein radikal persönlicher Film, der jedoch universelle Fragen aufwirft: Was prägt uns und wie? Wie gehen wir mit Erwartungen um? Aber auch: Wie gerecht ist es, Besitz zu vererben? Im Dokumentarfilm lässt der Autor das Kinopublikum teilhaben an den familieninternen Diskussionen zur Frage, was mit dem Gut in Frankreich passieren soll, wenn sich die Eltern eines Tages nicht mehr darum kümmern können. Während Vater Ruedi dafür plädiert, dass der Hof in der Familie bleiben soll, sieht Sohn Simon darin eher eine Last. Und stellt sich im Film grundsätzliche Fragen: «Ich erbe von meinen Eltern Eigentum und das Bewusstsein für Gerechtigkeit. Aber die zwei Sachen passen nicht zusammen. Wo ist die Gerechtigkeit, wenn ich Eigentum erbe und andere nicht?» Dieses unlösbare Dilemma zieht sich wie ein roter Faden durch den Film. Der Autor möchte damit nicht zuletzt eine Debatte anstossen. «Wenn in der Schweiz transparenter wäre, wem der Boden gehört und wer sich Land überhaupt leisten kann, würde man auch mehr über Gerechtigkeit sprechen.» Darüber hinaus zeichnet Simon Baumann in «Wir Erben» ein aufschlussreiches Familienporträt. Er erzählt vom Aufbruch seiner Eltern, die sich entfalten und – als Teil der 1968er-Generation – aus bürgerlichen Konventionen ausbrechen konnten. Die Arbeitertochter Stephanie Bieri und der Bauernsohn Ruedi Baumann heirateten 1974 heimlich – «eine traditionelle Hochzeit wäre ihnen zu bourgeois gewesen» – und reisten ohne Geld und per Autostopp nach Afrika. Zwei junge Menschen, welche die Welt verändern, aber auch in Beruf und Gesellschaft vorankommen wollten: «Für sie gingen Türen auf, die für ihre Vorfahren verschlossen blieben.» Das politische Engagement seiner Eltern, zunächst im Kantonsparlament, später im Nationalrat, beobachtete Simon Baumann als Bub mit gemischten Gefühlen: «Ich schämte mich für sie, bewunderte sie, litt mit ihnen.» Mit der AusStephanie und Ruedi Baumann leben seit mehr als zwei Jahrzehnten in Südfrankreich. Schweizer Revue / Dezember 2024 / Nr.6 14 Kultur

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