DÖLF BARBEN Sie springt nicht mit einem Fallschirm von Felswänden. Sie fährt auch nicht mit dem Fahrrad in zehn Tagen durch Amerika. Und doch: Könnte Anna Zimmermann ihre Träume verwirklichen, erlebte sie Dinge, die extremer sind, als Sportlerinnen und Sportler sie je erleben. Dort, wo sie hingelangen möchte, «bringt einen alles, was draussen ist, ziemlich schnell um», sagt sie. Die Orte, von denen sie spricht, sind die Internationale Raumstation, die in 400 Kilometern Höhe um die Erde kreist, und eine Forschungsbasis in der Antarktis. Leben in extremer Umgebung, Überleben an den unwirtlichsten Orten: Das ist schon seit langem das grosse Thema der 29-jährigen Aargauerin, die in Bern lebt und Medizin studiert. Immer grösser träumen Doch woher kommt dieses Interesse? Es sei eher eine Faszination, sagt Anna Zimmermann und spricht über «den Menschen», der sich während Millionen von Jahren in einem «sehr engen Rahmen von Umweltbedingungen» entwickelt habe. Vollends ins Staunen gerate sie aber ob der Tatsache, dass Menschen immer wieder versuchten, «unsere ökologische Kinderstube» zu verlassen und «in unbekannte Gefilde» vorzudringen. Dieses Verlangen treibe die technische Entwicklung voran, sagt sie, «was uns immer grösser träumen lässt». Besonders fasziniert sei sie von der Stärke der menschlichen Psyche. Sei diese richtig trainiert, könne sie körperliche Grenzen verschieben. «Trotzdem», sagt sie: «Die Psyche ist extrem fragil. Als Menschen sind wir unwiderruflich verbunden mit anderen Menschen – und abhängig von ihnen.» Auf dem Weg an die Grenzen Anna Zimmermann träumt davon, Astronautin zu werden. Oder in der Antarktis auf einer Forschungsstation zu arbeiten. Die Medizinerin ist fasziniert vom Leben in lebensfeindlichen Umgebungen. «wenn der Alltag sich verschlankt, wenn es einfach wird. Das ist befreiend.» Ein Punkt aber ist ihr wichtig: Sie mache all diese Dinge nicht, «damit ich sie gemacht habe – es ist die Neugier, die mich antreibt». Diese Neugier führt sie immer weiter – seit einigen Monaten Richtung Raumfahrt. «Da laufen alle meine Interessen zusammen», sagt sie. Festgestellt hat sie dies vor bald einem Jahr bei einem Besuch des Kennedy-Raumfahrtzentrums in Florida. Nach diesem «Aha-Erlebnis» begann sie nach möglichen Berührungspunkten zu suchen. Sie stiess auf die Forschungsstation Concordia in der Antarktis. Diese wird von der ESA betrieben, der europäischen Raumfahrtagentur. Forscherinnen und Forscher arbeiten an einem der entlegensten Orte der Erde. Es ist fast so, als wären sie in einem Raumschiff unterwegs. Derzeit ist die Schweizer Ärztin Jessica Kehala Studer dort. Auf dem «Mond» im Gotthardgebiet Und dann war da «Asclepios»: Die Organisation, die vor einigen Jahren an der Eidgenössisch Technischen Hochschule in Lausanne (EPFL) von Studierenden für Studierende gegründet wurde, führt simulierte Mondmissionen durch. Diesen Sommer startete in den Schweizer Alpen, im Gotthardgebiet, bereits die vierte AsclepiosMission mit über zwei Dutzend Teilnehmenden aus aller Welt – und Anna Zimmermann war dabei. Als Medizinstudentin wurde sie im Kontrollzentrum eingesetzt. Dieses befand sich in einem Bunker tief unter der Erde. Auf ihrem blauen, kurzärmligen Shirt prangte neben dem Namensschild ein rundes Missionsabzeichen. Anna Zimmermann war zuständig für das körperliche und Höher, weiter, schneller, schöner? Auf der Suche nach den etwas anderen Schweizer Rekorden. Heute: Leben und Lernen auf dem «Mond» – in den Schweizer Alpen. Anna Zimmermann wollte bald auch ihre eigenen Grenzen erkunden. Sie leistete Militärdienst, absolvierte die Offiziersschule, nahm an Durchhalteübungen teil. Auch privat ging sie weit. Bei einem Trekking in Nepal zum Beispiel. 19 Tage war sie unterwegs, meist auf über 4000 Metern – beissende Kälte, immer die gleichen Kleider. Und erst diesen Februar besuchte sie in Norwegen einen Polarmedizinkurs zur Erstversorgung von Kälteverletzungen. Der Antrieb: Neugier Bei alledem lernte sie viel – über sich selbst, aber auch über andere. Und eine Erfahrung kam dazu: Sie mag es, «Es ist meine Lebensphilosophie, interessiert und offen zu bleiben und zu schauen, was um die Ecke kommt.» Anna Zimmermann Schweizer Revue / Dezember 2024 / Nr.6 18 Reportage
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