Schweizer Revue 6/2024

Das zerstörte Gebäude des havarierten Reaktorblocks Nr. 3 des AKW Fukushima (2011): Dass es selbst in Hochtechnologienationen wie Japan keine absolute Nuklearsicherheit geben kann, beeinflusste die Stimmung in der Schweiz stark. Foto Keystone Spannung im Umgang der Atomenergie: Einerseits ist der Ausstieg eine vom Volk beschlossene Sache, anderseits betreibt die Schweiz mit Beznau I das weltweit älteste AKW. Im Bild: Reaktoroperateure während Revisionsarbeiten im Mai 2024. Foto Keystone gien und mehrere osteuropäische Länder. Grossbritannien und die Slowakei schaffen neue Kapazitäten. Die neue niederländische Regierung möchte gleich vier neue Kernkraftwerke bauen. Und in Frankreich bleibt die Atomkraft das Rückgrat der Stromversorgung. Abhängigkeit von Russland Allerdings gibt es auch hier Widersprüche in der Debatte. Mit zusätzlichen AKWs würde zwar die Abhängigkeit von Strom aus mit Kohle oder Gas betriebenen Kraftwerken abnehmen. Das dazu verwendete Gas stammt noch immer teilweise aus Russland. Allerdings kommt auch ein Teil des für die AKWs benötigten Urans aus Russland. Laut einer Aufstellung der Energiestiftung (SES), die sich gegen Atomkraft einsetzt, stammen 45 Prozent des Atomstroms und 15 Prozent des gesamten Schweizer Stroms aus russischem Uran. Mindestens 7,5 Prozent laufen laut SES über den russischen Staatskonzern Rosatom. In der EU gibt es Bestrebungen, hier Gegensteuer zu geben. Kurzfristig hat indes die Abhängigkeit zugenommen. Die Importe von russischem Uran in die EU-Staaten sind nach dem Beginn des Ukraine-Krieges stark angestiegen. Neben der Klimapolitik und der geopolitischen Lage in Europa spielt den Atomkraft-Anhängern noch ein weiterer Umstand in die Hände: Die Schweiz hat mit Stadel im Kanton Zürich endlich einen Standort gefunden, wo der Atommüll während Jahrtausenden verwahrt werden soll. Das Endlager ist zwar noch nicht in trockenen Tüchern. Widerstand in der betroffenen Region ist jedoch viel schwieriger als früher. Die Gemeinde und der Standortkanton haben kaum noch Möglichkeiten, gegen den gefällten Standortentscheid vorzugehen. Noch in diesem Jahr wird die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) beim Bund ein Baugesuch einreichen. Indes gab es hier jüngst einen Dämpfer. Das geplante Tiefenlager ist nur für den Abfall der bestehenden Kraftwerke konzipiert, wie die Nagra in einem neuen Bericht festhält. Neue Kernkraftwerke seien in den Reserven nicht eingerechnet. Für die Atomkraftgegner zeigt dies die Absurdität der Diskussion: Es bräuchte für neue AKWs ein zweites Endlager für den radioaktiven Abfall. Dabei sei noch nicht einmal das erste bewilligt. Für die Befürworter hingegen könnte am geplanten Standort das Tiefenlager einfach viel grösser gebaut werden. Pläne für einen abfallarmen Reaktor In die Hände des Pro-AKW-Lagers spielen die Pläne der Genfer Firma Transmutex. Diese entwickelt ein Atomkraftwerk, das ohne Uran läuft und sogar den Müll der bestehenden Reaktoren stark reduzieren soll. Dieser Vorgang nennt sich Transmutation. Anstelle von Uran würde in einem solchen Meiler Thorium als Brennstoff verwendet. Das Volumen der langlebigen, hochradioaktiven Abfälle liesse sich laut Experten um den Faktor 100 verkleinern. Bei der Transmutation entstehen hingegen mehr kurzlebige Spaltprodukte, die auch hoch radioaktiv sind und zumindest für einige Jahrhunderte in einem Endlager versorgt werden müssen. Ein Tiefenlager braucht die Schweiz also so oder so. Bei den Transmutex-Reaktoren wäre jedoch die Zeitspanne der Lagerung sehr viel kürzer. Noch existiert dieses System erst auf dem Papier. Experten aus der Nuklearforschung rechnen damit, dass ab 2035 gebaut werden kann. Noch viel länger ginge es, bis dereinst ein neues AKW in der Schweiz ans Netz ginge. Der Bundesrat hat im Grundsatz erst den Anfang vom Ausstieg aus dem Ausstieg beschlossen. Der Gegenvorschlag soll noch im laufenden Jahr in die Vernehmlassung Schweizer Revue / Dezember 2024 / Nr.6 6 Schwerpunkt

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