Schweizer Revue 1/2025

GERLIND MARTIN Isabel Bürgin webt, seit sie 1981 ihre Ausbildung zur Textildesignerin und Handweberin begonnen hat. Ihr Atelier in einem Hinterhaus im Basler Klybeck-Quartier ist hell und hoch und hat eine Geschichte: Früher haben hier ihr Grossvater und ein Onkel eine Zuckerbäckerei betrieben. Die Zuckerbäckerei und die Weberei seien Handwerke mit Tradition, sagt Isabel Bürgin. «Ich führe die Familiengeschichte weiter.» Ihr Atelier mit drei Webstühlen ist auch Büro und Showroom. Besucherinnen und Besucher können die bunt leuchtenden Teppiche, die farbigen Decken und flauschigen Schals ansehen, anfassen, sich informieren. In einem Laden zu sitzen und auf Kundschaft zu warten, wäre nichts für Isabel Bürgin. Sie muss wirken, werken, sich bewegen. «Ich bin eine Läuferin», sagt die agile Frau, die als Jugendliche Tänzerin werden wollte. Tägliche Fussmärsche regen die Künstlerin an: «Ein Geräusch, eine Farbkombination in den Kleidern einer Frau, die an mir vorbeiläuft, die Natur, Lichtstimmungen: Inspiration kann man nicht holen, dafür muss man offen sein.» Ihre Kreationen entwirft sie am Webstuhl. Sie probiert Muster aus, begutachtet, verwirft, verändert, experimentiert mit Farben und Garnen. So entsteht langsam das Muster, das sie später mit einer Websoftware verfeinert. «Die Ideen kommen aus dem Machen heraus», erklärt sie. «Ich setze das Handwerk in Bilder um.» Faszinierend – und zu schwierig In der Textilfachklasse an der Schule für Gestaltung in Basel lernte Isabel Bürgin weben. Allerdings verstand sie anfangs partout nicht, wie Weben technisch funktioniert. «Ich war fasziniert, aber es schien mir zu schwierig.» Doch als die damals sechs Studentinnen Blockunterricht erwirkten, änderte sich alles: Nun hatte sie genügend Zeit, sich in ihre jeweilige Aufgabe zu vertiefen. Ihr räumliches Vorstellungsvermögen bildete sich aus, sie vermochte in das Gewebe hineinzusehen. «Endlich begriff ich, wie Gewebe funktioniert. Damals hat es mich gepackt.» In ihrer Abschlussarbeit suchte Isabel Bürgin Antworten auf die Frage: Was möchte ich spüren, wenn ich blind wäre; wie könnte sich ein haptischer Fussweg anfühlen? «Damals webte ich meinen allerersten Teppich, einen Läufer.» Sie ahnte nicht, dass das Teppichweben sie 37 Jahre lang, Weberin Isabel Bürgin: «Die Ideen kommen aus dem Machen heraus» Die Weberei ist weltweit eine der ältesten Kulturtechniken. In der Schweiz betreiben mehrere Hundert Weberinnen und Weber das Handwerk – unter ihnen die Weberin und Textildesignerin Isabel Bürgin. ja wahrscheinlich länger, beschäftigen würde. «Es ist wirklich eine Leidenschaft geworden.» Keine Angst vor dem Scheitern 1986 gründete die 24-Jährige ihr eigenes Atelier. In der Tasche hatte sie den Lehrabschluss als Handweberin, das Diplom als Textildesignerin und ermutigende Erfahrungen aus ihrem Praktikum im Atelier des Designers Ulf Moritz in Amsterdam. Insbesondere die «holländische Art», spontan eigene Ideen auszuprobieren und keine Angst vor dem Scheitern zu haben, spornte sie an. Anfang der 1990er-Jahre gewann die junge Geschäftsfrau und Künstlerin zweimal das Eidgenössische Stipendium für angewandte Kunst vom Bundesamt Isabel Bürgin zeigt eine ihrer Kreationen: einen weichen und voluminösen Bodenteppich aus Schafwolle. Foto Lisa Schäublin Schweizer Revue / Januar 2025 / Nr.1 10 Portrait

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