Schweizer Revue 1/2025

SUSANNE WENGER Wer den «Unter-Emmentaler» im bernischen Huttwil besucht, wird von einer Mitarbeiterin der Schürch Druck & Medien AG durch die laute Druckerei geführt. Eine steile, verwinkelte Holztreppe im hinteren Teil des Gebäudes führt zur Redaktion und zu einem kleinen Sitzungszimmer mit Porträts der Gründerfamilie an der Wand. Das 1875 gegründete Unternehmen ist bis heute in Familienbesitz. Als der «Unter-Emmentaler» kürzlich eine Redaktionsstelle ausschrieb, bezeichnete er sich als «eine der letzten unabhängigen Lokalzeitungen der Schweiz». An diesem Novembernachmittag sind die meisten Arbeitsplätze leer, die Journalistinnen und Journalisten im Schneetreiben unterwegs. Sechs Redaktionsmitglieder teilen sich 510 Stellenprozente und füllen mit zehn freien Mitarbeitenden zwei Ausgaben pro Woche. Das Verbreitungsgebiet umfasst Teile des Emmentals und des Oberaargaus im Kanton Bern sowie des Luzerner Hinterlandes. Walter Ryser, ein erfahrener Lokaljournalist, kennt die Gegend bestens. «Ein guter Nährboden» Als Leiter Medien beim Unternehmen berät Ryser die Geschäftsleitung strategisch und verfasst Artikel für den «Unter-Emmentaler». Daneben betreibt er eine kleine Werbeagentur und engagiert sich in Kultur- und Sportvereinen. Er beschreibt die Region als «ländlich-konservativ» und sagt: «Hier werden Traditionen bewahrt, das Leben verläuft gemächlich – ein guter Nährboden für Lokaljournalismus.» Aber auch die Stadt Langenthal gehört heute zum «Die Leute wollen wissen, was in ihrem Dorf passiert» Schweizer Medienkonzerne kürzen unter wirtschaftlichem Druck beim Lokaljournalismus. Das wird zum Problem für die Demokratie. Doch der 150-jährige «Unter-Emmentaler» berichtet weiterhin aus den Gemeinden – und trotzt erfolgreich der Krise. Einzugsgebiet. «Schon zwischen Langenthal und Huttwil liegen Welten», erklärt Rysers Kollege Thomas Peter, Redaktionsleiter des «Unter-Emmentalers». Vielfalt auf kleinem Raum, typisch für die Schweiz. «Journalistisch ist das ein Balanceakt», sagt Peter. Doch die Zeitung meistert ihn bewusst. «Wir machen, was die grossen Verleger vernachlässigen: echten Lokaljournalismus», betont Ryser. Er spricht damit die Entwicklung der letzten zwanzig Jahre an. Die Schweiz zeichnete sich lange durch eine fein verästelte Medienlandschaft aus, ein bedeutender Teil der föderalen Struktur. Doch seit der Jahrtausendwende lässt die Digitalisierung das Geschäftsmodell der Zeitungsverlage einbrechen. Sparrunden und Fusionswellen trafen besonders den Lokaljournalismus. Viele Titel verschwunden Mindestens 70 Titel verschwanden zwischen 2003 und 2021. Die Blätter wurden eingestellt oder in zentral gesteuerte Redaktionen grösserer Medienunternehmen integriert. Zu diesen gehört die Zürcher Tamedia, die auch Titel im Kanton Bern und der Romandie besitzt. Letzten Herbst verkündete Tamedia einen erneuten markanten Stellenabbau und weitere Zusammenlegungen. Ziel sei es, mit den grössten publizistischen Titeln digital zu wachsen, so das Unternehmen. In betroffenen Regionen von Genf bis Winterthur wurde heftige Kritik laut. Auch die Region Emmental-Oberaargau spürt den Schwund: Das einst eigenständige «Langenthaler Tagblatt», das schon seit einigen Jahren nur noch als Split-Ausgabe der «Berner Zeitung» erscheint, geht jetzt vollständig in diesem Tamedia-Titel auf. Walter Ryser, der publizistische Verantwortliche beim «Unter-Emmentaler», war früher Chefredaktor des «LanRedaktionssitzung beim «Unter-Emmentaler»: Das Team übt Blattkritik und legt die neuen Themen fest. Oben am Tisch: Walter Ryser. Foto ZVG «Hier werden Traditionen bewahrt»: Huttwil im Kanton Bern, wo der «Unter-Emmentaler» seit seinen Anfängen produziert wird. Foto Keystone Redaktionsleiter Thomas Peter. Foto ZVG Schweizer Revue / Januar 2025 / Nr.1 16 Gesellschaft

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