Schweizer Revue 1/2025

STÉPHANE HERZOG Die Wohnung der 82-jährigen Esther Janine Zehntner ist an diesem Herbstmorgen vom Licht durchflutet. Die Aussicht auf Basel von ihrer Vierzimmerwohnung im sechsten Stock eines Gebäudes am Rande des Iselin-Quartiers ist herrlich. «Ich lebe gut. Ich habe immer allein gelebt, ohne dass ich unbedingt danach gesucht hätte», erzählt die ehemalige Lehrerin. Sie hat fast zehn Jahre ihres Lebens für den Weltbund der Christlichen Vereine Junger Frauen (YWCA) in Afrika verbracht. «Ich habe ein schwarzes Herz», sagt sie und erzählt von ihrem Einsatz für die Entwicklungszusammenarbeit auf diesem Kontinent. In Basel ist Esther jeden Tag zu Fuss unterwegs, um in Form zu bleiben. Sie spaziert gerne am Rhein entlang und durch den Basler Zoo. Sie kann auf einen Freundeskreis zählen, mit dem sie ins Theater, ins Konzert oder ins Museum geht. Leidet sie manchmal unter Einsamkeit, wie dies bei immer mehr Menschen in der Schweiz der Fall ist? Die Bevölkerung wird immer älter, die Zahl der Scheidungen nimmt zu. Im Kanton Basel-Stadt lebt rund ein Viertel der Bevölkerung – 50000 Personen – allein. 47 % der Wohnungen sind Einpersonenhaushalte; 53% der Wohnungen, in denen rund 150000 Menschen leben, werden also von zwei oder mehr Personen bewohnt. Basel-Stadt, Schweizer Hochburg der Einsamkeit In Basel-Stadt sind 47 % der Wohnungen Einpersonenhaushalte, im Schweizer Mittel sind es 36%. Ein Viertel der Bevölkerung lebt allein. Die Behörden haben eine Strategie zur Aufklärung und Bekämpfung von Einsamkeit lanciert. Sowohl alte wie junge Menschen leiden. Eine Reportage über ein Tabuthema. Esther erzählt von einer Woche, die sie mit Freundinnen aus dem YWCA verbracht hat. Alle Teilnehmerinnen zeigten Fotos von ihren Enkeln und Urenkeln. «Ich selbst habe keine. Habe ich mein Leben verpasst? Wie auch immer, wenn es einen Moment gibt, in dem ich mich einsam fühlen kann, ist es so einer», sagt sie. Gleichzeitig freut sie sich über den Lärm der drei Kinder, die sich gerade über ihrer Wohnung austoben. Im Erdgeschoss ihres Wohnhauses befindet sich das Restaurant HuefyseBar, ein beliebter Treffpunkt für Singles aus dem Quartier. Männer und Frauen trinken hier ihr Bier, ab und zu gehen einige auf die Terrasse, um eine zu rauchen. Sie wirkt wie ein Kontrast zu der im Schnitt sehr kleinen Haushaltsgrösse: die grosszügige Rheinpromenade in Basel. Foto Keystone Schweizer Revue / Januar 2025 / Nr.1 20 Reportage

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