len, wird das weniger gut akzeptiert», ergänzt der Abteilungsleiter. Babyboomer schämen sich Gottfried* erzählt am Telefon. Der Vater von zwei erwachsenen Kindern lebt seit etwa zehn Jahren von seiner Frau getrennt. Der 60-Jährige kommt aus dem Kulturbereich und musste sich nach der Zeit von Covid-19, in der viele Selbstständige ihre Jobs verloren, neu erfinden. Er spricht offen über seine Einsamkeit und sein Umfeld, in dem viele Freunde und Bekannte geschieden sind. Die Lebensbedingungen der Babyboomer haben sich verschlechtert, sogar Menschen mit hohem Bildungsstand sind plötzlich auf Sozialhilfe angewiesen. «In meinem Alter ist man nicht gerne Single», sagt Gottfried. Seine Altersgenossen hätten aber zwei auf den ersten Blick sich zuwiderlaufende Wünsche: Einerseits wollten sie nicht allein sein, anderseits aber ihre Unabhängigkeit und ihren hohen Lebensstandard bewahren. «So bleibt jeder an seinem einsamen Ort. Die Leute meinen, dass das Leben für immer Nebenan im Ahornträff nutzt einer der Stammgäste einen Bistrotisch zum Arbeiten. Esther isst manchmal mit ihm zusammen. Die sozial engagierte Frau wohnt seit sechs Jahren hier, nachdem sie den grössten Teil ihres Lebens im Iselin-Quartier verbracht hat, in einem Haus, das ihr Grossvater 1902 baute. Sie pflegt nach wie vor Kontakt zu ihren ehemaligen Nachbarn. Behörden sind alarmiert In Basel-Stadt ist der Anteil der SingleHaushalte von 21% im Jahr 1960 auf rund 45 % im Jahr 1990 gestiegen. Bis 2050 wird er voraussichtlich auf über 50 % klettern. «Soziale Isolation kann man messen, aber Einsamkeit lässt sich nur schwer quantifizieren», gibt Lukas Ott, Leiter der Abteilung Kantons- und Stadtentwicklung BaselStadt, zu bedenken. Ott ist für die Umsetzung eines Programms verantwortlich, das auf ein Postulat zurückgeht. Der SP-Politiker Pascal Pfister hat es 2023 im Parlament eingereicht. Der Massnahmenplan sieht 150000 Franken für Projekte vor, die ab 2025 von Freiwilligen getragen werden sollen, sowie eine Strategie zur Bekämpfung der Einsamkeit. «Die Stadt muss neue Möglichkeiten des Zusammenseins schaffen», betont Ott auch mit Blick auf die hohe Zahl von Senioren, Spitälern und Pflegeheimen im Stadtkanton. 2023 hat der Kanton Basel-Stadt allen allein lebenden älteren Menschen einen Brief geschickt. Darin sind zwei Telefonnummern aufgeführt: eine für die Anlaufstelle «Info älter werden», die Informationen zu Angeboten und Organisationen für Seniorinnen und Senioren vermittelt, eine für «Mein Ohr für dich», ein Alltagstelefon für einsame Menschen. Einsamkeit trifft nicht nur Senioren. In Basel-Stadt leben in einem Drittel der Single-Haushalte Menschen zwischen 20 und 40 Jahren. Lukas Ott sagt, dass junge Menschen in einer mobileren Welt, in der sich das Leben zum Teil online abspielt, zwar mehr Beziehungen knüpften als früher. Diese seien aber fragiler, sagt Ott und betont, dass «die Qualität und Tiefe einer Beziehung entscheidend ist». Soziale Isolation ist ein Tabuthema. «Bei Seniorinnen und Senioren ist dieses Phänomen bekannt. Doch wenn Junge sagen, dass sie sich einsam fühEin stilles Zuhause, eine belebte Umgebung: Geräuschvoll und in Bewegung ist selbst der Tinguely- Brunnen auf dem Theaterplatz in Basel. Foto Keystone Esther Jeanine Zehntner in ihrer Basler Wohnung. Immer lebte sie alleine. Und heute sagt sie ohne zu zögern: «Ich lebe gut.» Foto Stéphane Herzog Höher, weiter, schneller, schöner? Auf der Suche nach den etwas anderen Schweizer Rekorden. Heute: Basel, die Stadt mit dem schweizweit höchsten Anteil an Einpersonenhaushalten. Schweizer Revue / Januar 2025 / Nr.1 21
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