PAUL IMHOF: «Das kulinarische Erbe der Schweiz – Ein Panoptikum des Ess- und Trinkbaren» Echtzeit-Verlag, Basel, 2024, 776 Seiten, 78 CHF. Schweizer Schokolade darf natürlich nicht fehlen, die Freiburger Marke Cailler ist die älteste des Landes. brachte der Waadtländer Nationalrat Josef Zisyadis von der Partei der Arbeit das Thema ins Rollen. «Er wollte mit seinem Vorstoss verhindern, dass die kulinarischen Traditionen der Schweiz und das Wissen um ihre Herstellung in Vergessenheit geraten», erklärt Imhof. Bundesrat und Parlament stimmten zu, ein Team von Fachleuten begann im Auftrag von Bund und Kantonen mit der Arbeit. Es durchstöberte Bibliotheken und Archive, sprach mit Produzentinnen und Produzenten und dokumentierte Produkte, Herstellungsprozesse, Rezepte. 2008 erschien das Ergebnis online unter www.patrimoineculinaire.ch. Paul Imhof, heute 72, war von Anfang an dabei. Der Journalist übernahm es, aus dem akribischen Online-Inventar einen lesbareren Führer in Buchform zu machen. Bis 2016 erschienen fünf Bände, einige sind vergriffen. Sein neustes Werk ist eine aktualisierte Gesamtausgabe. Neu aufgenommen wurden Produkte, die inzwischen die Voraussetzung erfüllen, seit mindestens 40 Jahren erhältlich zu sein – etwa der Tessiner Reis, ein Zeichen des Klimawandels, wie Imhof anmerkt. Der Autor schreibt vergnügt und gehaltvoll. Er ergänzt die vorgestellten Produkte mit historischen Fakten und lebendigen Anekdoten aus eigener Recherche. Nach Kantonen gegliedert, lädt das Buch zu einer lehrreichen Reise durch die kulinarische Landschaft der Schweiz ein. Diese besticht durch Vielfalt, geprägt von den Kulturräumen, die hier aufeinandertreffen: französisch, kontinental, italienisch-mediterran, dazu die rhätische Eigenheit. Ein Nationalgericht gibt es laut Imhof deshalb nicht: «Die kulinarische Kraft der Schweiz liegt in den Regionen.» Topografie als Ideengeberin Die hügelige Landschaft und die Kleinräumigkeit beeinflussten jedoch die Zutaten. Vor der Begradigung der Flüsse war Ackerland knapp. Die weit verbreitete Viehwirtschaft machte die Schweiz zur «Meisterin der Konservierung», wie Imhof feststellt: Milch wurde als Käse haltbar gemacht, Fleisch als Wurst und Trockenfleisch. So entstanden Vorräte, die zugleich handelbar waren. Der Sbrinz etwa, «der älteste Schweizer Exportkäse», gelangte früh über Säumerwege in die Städte des Südens, Glarner Schabziger auf den Markt in Zürich. «Ein Land erklärt sich immer auch über sein Essen», sagt Imhof. Für ihn ist das kulinarische Erbe der Schweiz «ein überquellender Schatz, der von grossem Einfallsreichtum zeugt». Jahrhundertealte Lebkuchenrezepte und das gesunde Birchermüesli gehören genauso zu den Erbstücken wie jüngere Industrieprodukte – etwa die Kult gewordene gelbe Streuwürze Aromat und die Milchserum-Limonade Rivella. In Zeiten von Fertigessen, Zusatzstoffen und Food-Inszenierungen auf Social Media hält Imhof die Besinnung auf Ursprünge «wichtiger denn je». Es Schweizer Revue / April 2025 / Nr.2 11
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