Form, die wie eine Kinderzeichnung aussieht, ist einfach perfekt. Sie erinnert an die Pyramiden von Gizeh.» Am Nachmittag spiegelt sich der dreieckige Schatten des Berges auf dem Thunersee und taucht das Panorama in ein märchenhaftes Licht. Aufgrund dieser Besonderheiten zog die «Schweizer Pyramide», wie der Berg auch genannt wird, zahlreiche Künstler an, darunter Ferdinand Hodler und Paul Klee. Der Berg diente auch als Motiv für zahlreiche Stiche, die für seine weltweite Bekanntheit sorgten. Einer der Gründe für seinen Erfolg ist rein praktischer Natur: Von Thun aus ist der Niesen mühelos zu bestaunen, während perfekte Gipfel wie die Dent Blanche (VS) vom Tal aus nicht zu sehen sind. Ausserdem handelt es sich bei der Route von Bern ins Oberland gleichzeitig auch um die älteste touristische Bahnstre68 Prozent zu bewältigen. Der NiesenTreppenlauf ist körperlich äusserst anstrengend. Der Geschwindigkeitsrekord liegt bei knapp unter 56 Minuten. In derselben Zeit überwinden trainierte Wanderinnen oder Wanderer allenfalls eher 500 Höhenmeter, nicht deren 1600. Abgesehen von diesem Wettkampf wird die Treppe aber lediglich als Servicezugang genutzt. Sie muss ganzjährig begehbar sein, auch im Winter. Die Niesenbahn AG weist darauf hin, dass das Betreten ohne Genehmigung verboten ist und mit einer Busse geahndet wird. Es gibt jedoch Ausnahmen: Mit einem Abonnement für 490 Franken kann man die Treppe zwischen drei und sieben Uhr morgens begehen, Duschen und Talfahrt inklusive. Doch nur wenige gönnen sich ein solches Abonnement. An sich war auch Reporter der «Revue» willens, die Treppe nachts zu begehen. Ihm wurde nahegelegt, das nicht zu tun: «Wir möchten keine zusätzliche Werbung für die Treppe der Niesenbahn», sagte dazu NiesenbahnGeschäftsführer Urs Wohler. Mondaufgang Die «Revue» machte sich deshalb mit der Bahn auf den Weg. Vom Gipfel aus ist der Blick auf die Berner Alpen und die Aussicht auf den Thuner- und den Brienzersee atemberaubend. In der Ferne ist der italienische Teil der Grandes Jorasses zu erkennen. Bei klarem Wetter sind zudem die Vogesen und der Schwarzwald zu sehen, schwärmt der Berner Schriftsteller, Journalist und Bergsteiger Daniel Anker. Mit einem kleinen Imbiss im Berghaus Niesen Kulm geht es weiter. Wer möchte, kann in einem der gemütlichen, holzvertäferten Zimmer des Hotels übernachten. Eine einmalige Gelegenheit, einen Mondaufgang über den Berner Alpen zu erleben! Der Niesen bietet alles, was man sich vom Schweizer Tourismus, dessen Reiz hauptsächlich in der Natur und den Berglandschaften liegt, wünscht. Der Berg übt seine Anziehungskraft schon seit Langem aus, wie ein 1793 vom deutschen Geologen Johann Gottfried Ebel publizierter Reiseführer beweist. Das Buch widmet dem Niesen vier Seiten, dem Titlis (UR) hingegen gerade einmal eineinhalb Seiten, erzählt Anker und sagt: «Der Niesen ist einer der ersten Schweizer Gipfel, der in der Literatur beschrieben wurde.» Wie lässt sich dieser Erfolg erklären? Daniel Ankers Deutung: «Seine Oben links: Die schnellsten Sportler erklimmen die 11 674 Stufen in knapp unter 56 Minuten. Darunter: Der Ausblick vom Gipfel gewährt einen atemberaubenden Blick auf die Seen und Gipfel der Berner Alpen. Oben rechts: Die rote, steile Niesenbahn erschliesst einen Berg, der seit dem 18. Jahrhundert zu den wichtigsten touristischen Zielen der Schweiz zählt. Fotos Keystone Schweizer Revue / Juli 2025 / Nr.3 20 Reportage
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