Schweizer Revue 3/2025

kerin, sondern mit ihren Solo-Auftritten als ebenso scharfzüngige wie humorvolle Kabarettistin zusammen. Immerhin fand das Schauspiel 1993 in einen Sammelband mit vergessenen Schweizer Theaterstücken Aufnahme, den Ursula Käser und der unlängst verstorbene Basler Germanist Martin Stern herausbrachten. Ein Stück, das in seiner Zeitbedingtheit heute kaum mehr gespielt werden könnte, in dem aber eine Haltung dokumentiert ist, mit der sich Elsie Attenhofer von den meisten ihrer schreibenden Schweizer Zeitgenossen wohltuend abhob. Eine bewegende Anerkennung Die schönste Hommage, die Elsie Attenhofer als einer der mutigsten Dramatikerinnen der Kriegszeit zu Lebzeiten dargebracht wurde, findet sich in einem Brief, den ihr der in die Schweiz emigrierte ungarische Schauspieler Lukas Stern 1944 nach einer Aufführung schrieb. «Ich danke Ihnen», hiess es da, «dass Sie nach so vielen Enttäuschungen mir meinen Glauben an den Menschen wiedergegeben haben. Ich danke für Ihre Tapferkeit, mit welcher Sie sich zu uns – so vielen unbekannten Lukas Sterns ganz Europas – heruntergebeugt haben. Wenn all dies, nur mit Phantasie, ohne die Wirklichkeit mit all ihren Grausamkeiten mitgemacht zu haben, zu schaffen ist, wo blieb dann das Veto der europäischen Künstler, Dichter und Schriftsteller, warum waren es nur so wenige, die sich mit ihrem Talent für uns einsetzten?» BIBLIOGRAFIE: «Wer wirft den ersten Stein?» ist greifbar in «Kein einig Volk: fünf schweizerische Zeitstücke, 1933–1945», herausgegeben von Ursula Käser-Leisibach und Martin Stern, Haupt-Verlag, Bern 1993. CHARLES LINSMAYER IST LITERATURWISSENSCHAFTLER UND JOURNALIST IN ZÜRICH CHARLES LINSMAYER Im Herbstprogramm 1934 des legendären «Cabaret Cornichon» debütierte die 25-jährige Zürcherin Elsie Attenhofer mit dem Chanson «Das alkoholfreie Mädchen». Und sie gehörte von da an bis 1942 mit vielen weiteren erfolgreichen Nummern fest zum Ensemble dieses Kabaretts. Ursprünglich Arztsekretärin und eine der ersten Schweizerinnen mit einem Pilotenbrevet, hatte sie bei Max Werner Lenz Singen und Rezitieren gelernt und wurde weit über die Zeit des «Cornichon» hinaus eine der beliebtesten Kabarettistinnen ihrer Generation. Vom Kabarett zum Film Sie übernahm auch Rollen in Filmen wie «Die missbrauchten Liebesbriefe» (1940) oder «Füsilier Wipf» (1938). Bei den Aufnahmen des letzteren Films, der als eine Art Schlüsselwerk der geistigen Landesverteidigung gelten kann, lernte sie ihren Mann, den Germanisten und späteren ETH-Professor Karl Schmid kennen. Nach der Heirat zog sie sich von der Bühne zurück und widmete sich ihrer Familie. Bis sie 1942, als sie ihr zweites Kind erwartete, aus einem Zeitungsartikel von den Razzien der Deutschen gegen die Pariser Juden erfuhr und in ihrer Empörung daran ging, ein Theaterstück zum Thema Antisemitismus zu schreiben. «Wer wirft den ersten Stein?» Sie liess das Stück, das zuerst «Anno 1943» heissen sollte, allerdings nicht in Paris spielen, sondern pflanzte den Konflikt auf Schweizer Dialekt mitten in eine Schweizer Wohnstube hinein. Und sie stellte, einzigartig in dieser Zeit, ganz offen die Frage, wie weit die Verschonten am Unglück der Verfolgten Mitschuld trügen. Aber kein StadtSie gab den Verfolgten den Glauben an den Menschen zurück Eine Erinnerung an die Kabarettistin und Dramatikerin Elsie Attenhofer theater hatte den Mut, das Stück zur Aufführung zu bringen. Bei einem Wettbewerb des Schauspielhauses Zürich war sie chancenlos. Und auch Kurt Horwitz, der das Stück in Basel zeigen wollte, konnte sich nicht durchsetzen. «Wer wirft den ersten Stein?» kam schliesslich am 11. Oktober 1944 im Basler Küchlin-Theater als Produktion der «Theater- und TourneeGenossenschaft Zürich» unter der Regie von Max Werner Lenz zur Uraufführung. Tausende sahen das Stück in der ganzen Schweiz Über sechzigmal wurde in Basel vor vollem Haus gespielt, nochmals mindestens so viele Aufführungen konnten in den verschiedensten Dörfern und Städten der Schweiz gezeigt werden, und 1945 kam das Stück in Lausanne sogar in französischer Sprache auf die Bühne. Aber der dramatische Husarenstreich ging ebenso schnell vergessen, wie er berühmt geworden war. Dass Elsie Attenhofer bis zu ihrem Tod am 16. September 1999 eine Schweizer Berühmtheit blieb, hing nicht mit ihrer Leistung als DramatiKabarettistin Elsie Attenhofer in ihrer Rolle als «Fräulein Vögeli» am Mikrofon, aufgenommen am 26. Februar 1944. Foto Keystone Elsie Attenhofer (1909–1999) Schweizer Revue / Juli 2025 / Nr.3 22 Literatur

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