13 STÉPHANE HERZOG Was kann man gegen eine Diktatur unternehmen? Mit dieser Frage konfrontiert uns eine Gedenktafel, die im Mai in Neuenburg enthüllt wurde. Sie erinnert an Maurice Bavaud, der im Alter von 22 Jahren versucht hatte, Hitler zu töten. «Man würde sich wünschen, dass es mehr Menschen wie ihn auf der Welt gäbe, die versuchen, solche Monster zu töten», erklärt der pensionierte Arzt JeanFrançois Burkhalter (81), einer der Initiatoren des Gedenkanlasses, während der feierlichen Enthüllung. Maurice Bavaud stammte aus einer einfachen katholischen Familie und wollte etwas bewirken. «Der Führer stellte in seinen Augen eine Bedrohung für die Unabhängigkeit der Schweiz, die Menschheit und den Katholizismus dar», heisst es in den Protokollen seines Prozesses im Jahr 1939, an dem kein Schweizer Diplomat anwesend war. Als der junge Mann 1938 von einem Seminar in der Bretagne zurückkehrte, das ihn auf eine Tätigkeit als Missionar vorbereitet hatte, machte er sich im Zug auf nach Deutschland. Die Regierung unseres Nachbarlandes förderte damals den Austausch mit der Schweiz. Besuche von Schweizerinnen und Schweizern im Deutschen Reich waren weitgehend ungehindert möglich, erklärt der Neuenburger Historiker Marc Perrenoud. Maurice Bavaud gelang es, sich Hitler am 9. November während einer Parade in München zu nähern. Doch vor ihm erhoben sich zahlreiche Arme zum Hitlergruss und hinderten ihn daran, auf den Diktator zu schiessen. Da er ohne Billett unterwegs war, wurde er später auf der Rückfahrt mit der Bahn aufgegriffen. Die Schweizer Botschaft in Berlin, die damals unter der Leitung eines gewissen Hans Frölicher stand, wollte aber das «gute Verhältnis Deutschlands zur Schweiz nicht für diesen Mann strapazieren», so Perrenoud. Auf Veranlassung der deutschen Behörden leitete die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen den jungen Mann ein und schickte den Nazi-Behörden eine Mitteilung, in der er als homosexuell dargestellt wurde. Maurice Bavauds Vater schlug vor, in der Schweiz inhaftierte Deutsche gegen seinen Sohn auszutauschen, um ihn so vor der Todesstrafe zu bewahren. Die Schweizer Behörden wollten diesen Vorschlag jedoch nicht weiterverfolgen. Während des Prozesses wies der Pflichtverteidiger darauf hin, dass der junge Bavaud keinen einzigen Schuss abgegeben hatte. Doch vergebens. Seine Familie erhielt einen letzten Brief aus dem Gefängnis in Plötzensee. «Ich umarme euch ganz fest, denn es ist das letzte Mal.» Am 14. Mai 1941 wurde Maurice Bavaud mit der Guillotine hingerichtet. Eine Grabstätte gab es nicht. In den 1950er Jahren erhielt die Familie Bavaud von der Bundesrepublik Deutschland 40 000 Franken Entschädigung als abschliessende Zahlung. 1979 erklärte der deutsche Schriftsteller Rolf Hochhuth Bavaud zu einem neuen Wilhelm Tell, und 1980 veröffentlichte auch der Journalist Nicolas Meienberg ein Buch zu seinem Gedenken. Hätte die Schweiz Bavaud retten können? Marc Perrenoud erwähnt den Fall eines anderen Neuenburgers, des Pfarrers Roland de Pury, der 1943 in einer Kirche in Lyon verhaftet wurde. Er stand der französischen Widerstandsbewegung nahe und wurde dank eines Austauschs gegen deutsche Spione gerettet. De Pury und seine Familie verfügten über Verbindungen und Kontakte, die der Familie Bavaud fehlten. Die Bundesräte René Felber und Pascal Couchepin räumten 1989 bzw. 2008 ein, dass die Schweizer Diplomatie zu wenig unternommen habe, um Bavaud zu retten. Maurice Bavaud: Der Schweizer, der versuchte, Hitler zu töten Im Mai wurde in Neuenburg eine Gedenktafel enthüllt, die an das Schicksal von Maurice Bavaud erinnern soll. Der junge Schweizer Katholik wurde 1941 wegen der versuchten Ermordung Hitlers in Deutschland mit der Guillotine hingerichtet. Die Schweiz hatte damals nichts unternommen, um ihn zu retten. Maurice Bavaud. Foto Handout Filmkollektiv Zürich Schweizer Revue / Oktober 2025 / Nr.4 Gesellschaft
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